Was Nancy Ortiz Dominguez als Austauschschülerin erlebte
Nancy Ortiz Dominguez (19) macht im kommenden Jahr Abitur. Das war zunächst nicht so vorgesehen, hängt aber mit den Erfahrungen zusammen, die sie als Austauschschülerin machen konnte.
Dabei wurde ihr dieser Aufenthalt vor allem deshalb ermöglicht, weil sie zunächst noch nicht die Hochschulreife im Blick hatte. Sie profitierte von einem Stipendium der Kreuzberger Kinderstiftung, das sich ausschließlich an Absolventen des Mittleren Schulabschlusses (MSA) wendet.
Gerade bei solchen Schülern und ihren Familien sei die Idee, sich ein Jahr lang zum lernen ins Ausland zu verabschieden, noch immer eher wenig ausgeprägt, sagte Petra Billecke, die das Programm betreut. Auch das eigene Budget lasse das häufig nicht zu. Deshalb setze die Stiftung hier an und finanziert einen großen Teil der Kosten. Wobei auf einen gewissen Eigenanteil der Eltern Wert gelegt wird. Auch als Ausdruck, dass sie hinter dem Austauschwunsch stehen.
Jugendliche fördern
In den Genuss einer Förderung können Jugendliche bundesweit kommen. Der Schwerpunkt liegt allerdings auf Bewerbern aus Kreuzberg sowie Neukölln. Schon weil die Kinderstiftung in der Ratiborstraße an der Grenze zwischen den beiden Bezirken verortet ist.
Voraussetzung, um auf diese Weise unterstützt zu werden, ist zunächst die Persönlichkeit des Kandidaten. Nancy Ortiz Dominguez erfüllte schon hier die Voraussetzungen. Sie hatte einerseits konkrete Vorstellungen, war aber gleichzeitig bereit, sie den Möglichkeiten anzupassen.
Frankreich günstiger als USA
Die Kreuzbergerin wünschte sich zunächst ein Gastjahr in den USA. Das war nicht nur schwer zu bekommen, sondern sprengte auch den Rahmen dessen, was ihre Mutter als Beteiligung hätte beisteuern können. Denn die Austauschkosten für Amerika liegen insgesamt im unteren fünfstelligen Bereich.
Nur etwa die Hälfte davon betragen sie für Frankreich, das deshalb das Ziel für Nancy wurde – genauer, ein Dorf im Süden des Landes. Die nächste bekannte Stadt, wenn auch etwas entfernt, ist Montpellier. Eine Gegend mit "mehr Kühen als Einwohner", wie die Schülerin lacht.
Nicht nur das war für sie als Stadtkind zunächst gewöhnungsbedürftig. Dass der Bus eben nicht alle paar Minuten, sondern nur einige Male am Tag verkehrt, gehörte ebenfalls zu ihren neuen Erfahrungen.
Alltag an der Schule
Auch der Alltag in der Schule unterschied sich von dem, was sie bisher gewohnt war. Grundsätzlich gebe es dort eine Anwesenheit von 8 bis 17 Uhr, erzählt sie. Wenngleich mit einigen Freistunden zwischen den Unterrichtseinheiten. Das alles noch immer verbunden mit einer großen Disziplin. Mehr oder weniger folgsame Schüler, die den Ausführungen des Lehrpersonals folgen, sind in Berlin zumindest nicht überall die Regel.
Beiname: "die Deutsche"
Natürlich habe es ein Interesse an ihr, der Mitschülerin aus "Allemagne", gegeben, sagt Nancy. "Mein Beinamen war 'die Deutsche'". Obwohl sie eigentlich gebürtige Mexikanerin ist.
Tiefere Kenntnisse vom östlichen Nachbarland hätten die meisten ihrer französischen Gleichaltrigen aber nicht besessen. Wenn sie überhaupt schon einmal in Deutschland waren, dann in grenznahen Gebieten jenseits des Rheins. Kreuzberg und sein besonderer Ruf sei ihnen erst recht kein Begriff gewesen. "Was sie vor allem mit uns verbinden, ist der Fußball."
Etwas anders sah das bei ihrer Gastfamilie aus. Der Vater besitzt eine Firma. Sie haben zwei Töchter, von denen eine während Nancys Aufenthalt die meiste Zeit in Japan war. "Deshalb bekam ich ihr Zimmer." Gerade durch den Austausch mit der Familie habe sie viel über ihr Gastland gelernt. Und das Annähern erfolgte zunächst noch oft durch Zeichensprache, ehe sich die Lücken in ihrem Französischvokabular nach und nach schlossen.
Zurechtfinden in einer neuen Umgebung und Klarkommen mit Unterschieden, das Perfektionieren der Sprache. Das und noch einiges mehr habe sie mitgenommen. Erfahrungen, die ebenso prägen, wie das Gefühl viel erlebt zu haben und dadurch selbstständiger geworden zu sein. Manche Themen und Probleme, mit denen sich ihre Berliner Mitschüler beschäftigen, erscheinen ihr vor diesem Hintergrund deshalb heute eher irrelevant.
Horizont erweitern
Nancy ist deshalb eine Art Vorzeigebeispiel, was die Kinderstiftung mit ihrem Austauschprogramm erreichen will. "Erweitern des Horizonts" und Erlangen von "interkultureller Kompetenz", wird hier unter anderem als Überbau oder Ziel genannt. Und das gerade für Schüler, die auf ihrem weiteren Berufs- oder Lebensweg eher seltener die Chance haben, sich für ein Jahr ins Ausland zu verabschieden.
Nancy Ortiz Dominguez hat auf jeden Fall noch nicht genug von anderen Ländern. Nach dem Abitur möchte sie ein Freiwilliges Soziales Jahr in Südostasien machen. Auch in ihre Geburtsstadt Mexiko-City würde sie gerne reisen. Und danach entweder Sprachwissenschaften studieren oder Diplomatin werden.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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