Wir nannten ihn Papa: Inge Deutschkron über den Namensgeber eines neuen Stadtplatzes

"Wir verehrten ihn", sagt Inge Deutschkron heute über ihren Retter Otto Weidt. | Foto: KEN
2Bilder
  • "Wir verehrten ihn", sagt Inge Deutschkron heute über ihren Retter Otto Weidt.
  • Foto: KEN
  • hochgeladen von Karen Noetzel

Die Shoa-Überlebende Inge Deutschkron hat am symbolischen ersten Spatenstich für den neuen Stadtplatz in der entstehenden Europacity beidseits der Heidestraße teilgenommen. Der Namensgeber für den neuen Platz, Otto Weidt, war ihr großes Vorbild, den Platz nach ihm zu benennen, ihr ein wichtiges Anliegen. Deutschkron über einen „stillen Helden“, einen Menschen, der Juden gerettet hat, einen „Gerechten unter den Völkern“.

„Ich bin glücklich darüber, dass Otto Weidt geehrt und die Erinnerung an ihn wachgehalten wird“, sagt Deutschkron. „Otto Weidt tat etwas für jene Zeit Unglaubliches. Er behandelte uns wie Menschen, kam uns mit Respekt entgegen, teilte unsere Sorgen und Nöte. Sann mit uns über Auswege nach und half uns, uns selber wieder aufzurichten.“

Von 1941 bis 1943 arbeitete Inge Deutschkron in Weidts kriegswichtiger Blindenwerkstatt in der Rosenthaler Straße. Weidt belieferte die Wehrmacht mit Bürsten und Besen, damals Mangelware. Ihm verdanke sie, dass sie noch am Leben sei, so Deutschkron über ihren Retter.

Zunächst schaffte es Otto Weidt, seine 30 blinden jüdischen Arbeiter vor der Deportation zu bewahren. Er hatte sich die korrupten Gestapo-Beamten mit Geschenken gewogen gemacht. „Noch heute sehe ich den blinden Otto Weidt vor mir, wie er immer wieder zur Gestapo eilte, den Blindenstock in der Hand, die Blindenbinde unter dem Arm.“ Er könne doch nicht die ehrgeizigen Aufträge der Wehrmacht für Besen und Bürsten erfüllen, wenn man ihm seine Arbeiter wegnähme, so argumentierte er dort, berichtet Deutschkron.

„Wo schauspielerisch glänzend vorgetragen, überzeugte er jene damaligen Herren über Leben und Tod. Für mich erfand Weidt die Tätigkeit einer Expeditentin, ohne die die Firma Weidt wohl hätte gut auskommen können“, erinnert sich die heute 95-Jährige. Otto Weidt hatte für sie das Arbeitsbuch einer Prostituierten erworben, die nicht zur Arbeit in einer Munitionsfabrik verpflichtet werden wollte. Der Trick mit zwei Ausweisen und unterschiedlichen Fotos funktionierte einstweilen, weil Gertrud Dereszewskis und Inge Deutschkrons Daten sich in etwa glichen. Bis Gertrud Dereszewski eines Tages „bei der Ausübung ihres Gewerbes erwischt wurde“, so Inge Deutschkron weiter. „Das beendete meine Rolle als legale Mitarbeiterin der Firma Weidt.“ Illegal arbeitete sie weiter, versteckte sich mit ihrer Mutter bei nichtjüdischen Freunden – und überlebte.

„Wir verehrten ihn, nannten ihn Papa“, sagt Deutschkron heute über Otto Weidt. „Er lebte mit uns, teilte mit uns unsere Sorgen und Nöte, sann mit uns über Auswege aus heiklen Situationen nach.“ Er habe ihnen ein Stück Selbstachtung zurückgegeben. Und er habe sie, die damals 19-Jährige, gelehrt, mit dem Unfassbaren fertig zu werden und die Kraft aufzubringen, im Versteck zu überleben.

Der Retter Otto Weidt wurde 64 Jahre alt. Er starb im Dezember 1947. Auf dem Friedhof Onkel Tom in Zehlendorf hat er ein Ehrengrab.

"Wir verehrten ihn", sagt Inge Deutschkron heute über ihren Retter Otto Weidt. | Foto: KEN
Otto Weidt auf dem Einband einer Arbeitsmappe für den Schulunterricht in Klassenstufe vier bis sechs, erhältlich in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Tiergarten. | Foto: KEN
Autor:

Karen Noetzel aus Schöneberg

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

20 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

BauenAnzeige
2024 war Richtfest für die Grundschule in der Elsenstraße. | Foto: SenBJF
7 Bilder

Berliner Schulbauoffensive 2016-2024
Erfolgsgeschichte für unsere Stadt

Die Berliner Schulbauoffensive ist nach wie vor eines der zentralen Projekte unserer Stadt. Mit aktuell mehr als 44.000 neu entstandenen Schulplätzen setzt die Offensive ihre Ziele erfolgreich um. So wurden von 2016 bis 2023 bereits 5 Milliarden Euro in moderne Bildung investiert. Auch in den kommenden Jahren wird das derzeit größte Investitionsvorhaben für Schulen fortgesetzt. Die Offensive geht weiter und führt zu einer dauerhaft verbesserten schulischen Umgebung für unsere Schülerinnen und...

  • Charlottenburg
  • 13.12.24
  • 874× gelesen
  • 1
WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 180.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom baut Netz aus
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Ab Dezember starten die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Borsigwalde, Friedenau, Frohnau, Hakenfelde, Lichtenrade, Lübars, Mariendorf, Neu-Tempelhof, Reinickendorf, Schöneberg, Spandau, Tegel, Waidmannslust, Wilhelmstadt und Wittenau. Damit können weitere rund 180.000 Haushalte und Unternehmen in Berlin einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2030 plant...

  • Borsigwalde
  • 11.12.24
  • 1.538× gelesen
WirtschaftAnzeige
Einstiegstüren machen Baden und Duschen komfortabler. | Foto: AdobeStock

GleichWerk GmbH
Seniorengerechte Bäder und Duschen

Seit März vergangenen Jahres ist die Firma GleichWerk GmbH in Kremmen der richtige Partner an Ihrer Seite, wenn es um den Innenausbau Ihres Hauses oder Ihrer Wohnung geht. Darüber hinaus bietet das Unternehmen auch seine Dienste für Hausverwaltungen an. Geschäftsführender Inhaber des Fachbetriebs ist Dennis Garte, der nach jahrelanger Berufserfahrung den Schritt in die Selbstständigkeit wagte, wobei er über ein großes Netzwerk an Kooperationspartnern sowie angesehenen Handwerksfirmen verfügt....

  • Umland Nord
  • 04.12.24
  • 1.205× gelesen
WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 84.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom vernetzt
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Aktuell laufen die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Berlin auf Hochtouren. Neue Arbeiten starten nun auch in Alt-Hohenschönhausen, Fennpfuhl, Friedrichsfelde, Friedrichshain, Karlshorst, Kreuzberg, Lichtenberg und Rummelsburg. Damit können nun rund 84.000 Haushalte und Unternehmen einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2023 plant die Telekom insgesamt...

  • Alt-Hohenschönhausen
  • 11.12.24
  • 1.629× gelesen
KulturAnzeige
Blick in die Ausstellung über den Palast der Republik. | Foto: David von Becker
2 Bilder

Geschichte zum Anfassen
Die Ausstellung "Hin und weg" im Humboldt Forum

Im Humboldt Forum wird seit Mai die Sonderausstellung „Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart“ gezeigt. Auf rund 1.300 Quadratmetern erwacht die Geschichte des berühmten Palastes der Republik zum Leben – von seiner Errichtung in den 1970er-Jahren bis zu seinem Abriss 2008. Objekte aus dem Palast, wie Fragmente der Skulptur „Gläserne Blume“, das Gemälde „Die Rote Fahne“ von Willi Sitte, Zeichnungen und Fotos erzählen von der damaligen Zeit. Zahlreiche Audio- und Videointerviews geben...

  • Mitte
  • 08.11.24
  • 2.526× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.