Quer durch das kriminelle Neukölln: Unterwegs mit Zivilfahnder und Hauptkommissar a.D. Karlheinz Gaertner
Neukölln. Er kennt die dunklen Seiten Neuköllns wie kein Zweiter: Karlheinz Gaertner hat hier vier Jahrzehnte lang Verbrecher gejagt. Nun lädt er regelmäßig zu einem Streifzug durch den Kiez ein. Die nächste „Crime & Wein“-Führung findet am 27. Mai statt.
Rauschgifthandel, Gewalt, Raub, Missbrauch und organisiertes Verbrechen waren sein täglich Brot. An rund 5000 Festnahmen sei er beteiligt gewesen, schätzt Gaertner, der in Rixdorf geboren wurde und heute in Rudow lebt. Er arbeitete als Bereitschaftspolizist, ziviler Fahnder auf den Straßen, zuletzt als Dienstgruppenleiter an der Wildenbruch- und Rollbergstraße.
Klar, dass der Mann viel gesehen und erlebt hat. Davon berichtet er während der etwa eineinhalbstündigen Tour, die vom Hermann- zum Richardplatz führt. Da gab es die alte Dame aus der Hobrechtstraße, die von einem „Nachläufer“ vom Geldinstitut bis in den Hausflur verfolgt und brutal überfallen wurde. Oder die Kollegin, die in einem Haus wegen Verdachts auf häusliche Gewalt ermitteln wollte. Im Hinterhof angekommen, sah sie den abgeschlagenen Kopf der Ehefrau auf sich zufliegen. Oder die „Panzerknackerbande“, die sich so dumm anstellte, dass sie einfach gefasst werden musste.
Skurriles neben Schrecklichem, harmlose Gauner neben skrupellosen Gangstern – davon erzählt Gaertner. Ganz nebenbei möchte er die unterschiedlichen Gesichter Neuköllns zeigen. „Zum Beispiel ist die arabische Meile, die Sonnenallee, nur wenige Meter von Kreuzkölln entfernt. Auch dort werden viele Sprachen gesprochen, englisch, spanisch, italienisch, aber kaum arabisch“, sagt er.
Das Böhmische Dorf sei wieder eine komplett andere Welt. Ganz in der Nähe endet die Führung in einem mediterranen Weinkeller, der normalerweise nicht öffentlich zugänglich ist. Dort gibt es Prosecco, leckere Schnittchen, Wein und reichlich Zeit für Gespräche.
Aber Karlheinz Gaertner ist kein abgeklärter Polizeibeamter im Ruhestand, der gerne Anekdoten erzählt. Die Verrohung, besonders unter Jugendlichen, macht ihm ernsthaft zu schaffen, genauso wie beispielsweise die organisierte Kriminalität der weitverzweigten libanesischen Großfamilien. „Da habe ich schon Männer in der dritten Generation verhaftet“, erzählt er.
An die Öffentlichkeit trat Gaertner schon vor einigen Jahren. Er tat noch Dienst, als ihn Quartiersmanager Fadi Saad ansprach. Denn besonders viele Messerstechereien waren wieder an der Tagesordnung. Saad, der selbst einmal Mitglied einer Jugendgang war, wollte gemeinsam mit Gaertner ein Zeichen gegen Jugendgewalt und Bewaffnung setzen. Sie organisierten ein Fußballturnier im Körnerkiez. Geschäftsleute, Feuerwehr, Polizei, Bezirksamt und etliche der berüchtigten Jugendlichen bildeten Mannschaften und traten gegeneinander an.
„Das war nicht einfach. Gerade die Feuerwehrleute und meine Kollegen hatten wenig Lust dazu. Schließlich mussten sie ja ständig Angriffe und Beschimpfungen dieser jungen Männer aushalten.“ Kraft seiner Autorität habe er dann „sanften Druck“ ausgeübt. Das Turnier wurde ein Erfolg, es blieb friedlich, man kam miteinander ins Gespräch. Inzwischen sind die Spiele zur Tradition geworden.
Der Kontakt mit Fadi Saad hatte Folgen: Gaertner schrieb mit ihm zusammen sein erstes Buch „Kampfzone Straße“, das 2012 veröffentlicht wurde. Ein weiteres folgte, sein drittes ist gerade erschienen. Es trägt den Titel „Sie kennen keine Grenzen mehr“, und es beschreibt die Belastungen von Polizisten, die von Teilen der Gesellschaft verachtet und als Fußabtreter behandelt werden.
Die nächste „Crime & Wein“-Führung findet statt am Sonnabend, 27. Mai. Treffpunkt ist um 16 Uhr auf der Mittelinsel des Hermannplatzes. Die Kosten betragen 29,50 Euro. sus
Die Teilnehmerzahl ist auf 20 Personen begrenzt. Bitte anmelden unter 0174/934 83 09.
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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