Schillernder Märchenonkel: Hobbyhistoriker spürte dem Leben des Rittmeisters Joseph Marcuse nach

Klaus Dieter Spangenberg: Der Rittmeister Joseph R. Marcuse (1875-1927). Eine Spurensuche, ISBN 978-3-00-056488-8, 19,50 Euro. | Foto: KEN
  • Klaus Dieter Spangenberg: Der Rittmeister Joseph R. Marcuse (1875-1927). Eine Spurensuche, ISBN 978-3-00-056488-8, 19,50 Euro.
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Hobbyhistoriker Klaus Dieter Spangenberg spürt gerne Familiengeschichten nach. Sein jüngstes Buch handelt von Joseph Richard Marcuse (1875-1927) und seiner assimilierten deutsch-jüdischen, kaisertreuen Familie im ehemaligen Tiergartenviertel.

Spangenberg breitet vor dem Leser ein Kaleidoskop interessanter Begebenheiten, schillernder Persönlichkeiten und überraschender Familienbande aus. Ausgehend von der einstigen Hohenzollernstraße 28, heute Hiroshimastraße, fügt sich das Sittenbild einer Epoche zusammen.

Der Autor kann sich dabei auf eine Vielzahl privater Dokumente und Fotos stützen. Den wohl größten Quellenschatz besitzt eine Großnichte des „Rittmeisters“ Marcuse, die in Antwerpen lebende Barbara Reisner, die auch das Vorwort zu Spangenbergs Buch schrieb. Erst nach dem Tod der Mutter 1988 habe ihr Vater sie auf „einige alten Kartons, die Jahrzehnte lang hinten in einem Schrank versteckt lagen, aufmerksam gemacht“. Es sind Hunderte Briefe, Fotos und Dokumente. Barbara Reisner brauchte 20 Jahre, um das große Familienarchiv zu ordnen, zu studieren und einzuscannen.

Und so setzt sich aus vielen Puzzelteilen langsam ein Bild zusammen. Eine Kusine Joseph Marcuses war die Filmkritikerin und Filmhistorikerin Lotte Eisner (1896-1983). In ihren Memoiren hält sie fest: „Unsere Familie gehörte zu den assimilierten Juden. Die meisten meiner männlichen Verwandten waren mit Protestantinnen verheiratet, und auch wir Kinder wuchsen eher in der christlichen Tradition als im jüdischen Glauben auf.“ Mit ihrem Vetter habe man sich überall sehen lassen können. Er sei ein „Märchenonkel“ gewesen.

Dieser Märchenonkel macht rasch Karriere. Nach dem Abitur am Königlichen Wilhelms-Gymnasiums in der Bellevuestraße 15 absolviert Marcuse eine kaufmännische Lehre. Bald danach geht er zum Militär. Er tritt zum protestantischen Glauben über, um Offizier im kaiserlichen Heer und damit „hoffähig“ zu werden. Er steigt bis zum Major („Rittmeister“) auf. In den Ersten Weltkrieg zieht er mit viel Hurra-Patriotismus. Vier Jahre kämpft der Rittmeister an der Front, wird mehrfach verwundet, erhält das Eiserne Kreuz.

Dann ist der Krieg aus und verloren. Aber Joseph Marcuse passt sich an. Mit zwei Kompagnons gründet er 1922 eine Privatbank und kauft für sich und seine langjährige Geliebte, die Schauspielerin und Opernsängerin Isabel „Belli“ Heermann, eine repräsentative Villa in der Rauchstraße. Der Teil der Rauchstraße, wo sich die Villa mit der Hausnummer 15 befand, existiert heute nicht mehr. Es folgen fünf kurze Jahre zwischen „High Society und Zockerszene“ und „rauschenden Ballnächten“, so Historiker Spangenberg.

1924 heiratet Marcuse Belli, die unter anderem mit Curt Goetz und Kurt Weill zusammenarbeitet. Die Ehe ist nur von kurzer Dauer. Marcuse leidet unter krankhafter Eifersucht. 1926 wird das Jahr des Zusammenbruchs: Die Scheidung ein Rosenkrieg, die Bank bankrott, die Villa muss verkauft werden.

Joseph Marcuse, der an einer chronischen Herzschwäche leidet, erkrankt ernsthaft. Um Heilung zu finden, geht er nach Österreich. Die letzten Lebensmonate verbringt er im noblen Wiener „Cottage Sanatorium“. Dort stirbt er am 6. Juni 1927 und wird eine Woche später auf dem Alten St. Matthäus-Kirchhof in Schöneberg beigesetzt. Dort haben Freunde Klaus Dieter Spangenbergs seine Grabstätte entdeckt und wollten mehr über diesen Joseph Richard Marcuse wissen. Spangenberg recherchierte acht Monate. Herausgekommen ist ein wirklich lesenswertes Buch.

Autor:

Karen Noetzel aus Schöneberg

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