Gewusst, nicht gefühlt
Bezirksamt stellt den ersten Teil eines Bildungsmonitorings für den Bezirk vor
Bisher war die Wahrheit nur „gefühlt“. Belastbare Zahlen, Daten, Fakten fehlten. Nun liegt für den Bezirk Mitte der erste Teil eines Bildungsmonitorings vor.
Es geht um Zugänge zu Bildung und um „Chancengerechtigkeit“ für alle Kinder in Mitte, um Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren und ihre Familien, um die Entwicklung eines alltagstauglichen Beobachtungsinstruments, mit dem das Bezirksamt frühzeitig Bildungsmängel feststellen und danach entsprechend handeln kann. Universitätsprofessorin Ulrike Rockmann von der Senatsverwaltung für Inneres und Sport, die gemeinsam mit Holger Leerhof vom Amt für Statistik Berlin-Brandenburg die Untersuchung durchgeführt hat, spricht von einem Frühwarnsystem für die bezirkliche Bildungspolitik.
Der erste Teil der Untersuchung liefert erste Befunde zum Thema Bildung im Bezirk Mitte. Mehr als 27.000 Schüler besuchen derzeit eine der 66 öffentlichen Schulen im Bezirk. 11,5 Prozent der Schulabgänger verlassen diese ohne Abschluss. 28 Prozent der Bevölkerung in Mitte hat keinen Berufsabschluss. „Im Ergebnis leben in Mitte überproportional viele bildungsbenachteiligte Personen und Bezieher von Transferleistungen“, sagt Ulrike Rockmann. Von fehlenden Abschlüssen sind häufiger Frauen als Männer betroffen.
Für Sandra Obermeyer (für Die Linke), Stadträtin für Jugend, Familie und Bürgerdienste, ist die Sprache der Schlüssel zum Bildungserfolg. Das beginnt in der Kindertagesstätte. Je länger der Besuch eines Kindes in der Kita dauert, desto besser ist seine Ausgangsposition für einen erfolgreichen schulischen Werdegang. Das konnte der Bezirk trotz umfassender Bildungs- und Sozialdaten bisher aber nur erahnen. Viele Daten waren dahingehend einfach nicht miteinander verknüpft und ausgewertet worden. So wird zwar zum Beispiel der Sprachstand der Kinder in Kindertagesstätten, bei der Einschulungsuntersuchung und in der Grundschule erhoben, aber belastbare Aussagen über die individuelle Sprachentwicklung konnten bislang nicht gemacht werden.
Die Untersuchung liefert sie, darunter die Feststellung: Migration hat einen Einfluss darauf, wie eine Schul- und Bildungskarriere verläuft. In 27,2 Prozent der Familien 2017 eingeschulter Kinder wird nur Deutsch gesprochen, in 56,4 Prozent der Familien Deutsch und mindestens eine Fremdsprache, in 16,4 Prozent der Familien gar kein Deutsch.
Der Anteil von Kitakindern nichtdeutscher Herkunft in Mitte betrug bei den Drei- bis Fünfjährigen 58 Prozent, bei den Zweijährigen 46 Prozent und bei den Einjährigen 34 Prozent. Dazu sagt Bürgermeister Stephan von Dassel (Grüne): „Ich möchte auch verstehen, warum fremdsprachige Familien ihre Kinder mehr als ein Jahr später den Kitas unseres Bezirks anvertrauen als Elternhäuser, in denen nur Deutsch gesprochen wird. Hier muss sich auch die Verwaltung hinterfragen, welche Barrieren zu Angeboten im Bezirk bestehen.“ Die häufigste Fremdsprache in Mitte ist laut Untersuchung Türkisch, das am häufigsten in den Untersuchungsräumen Wedding-Zentrum und Osloer Straße gesprochen wird, gefolgt von Arabisch, Englisch und Russisch.
Eine andere, für Sandra Obermeyer bedenkliche Erkenntnis aus der Untersuchung lautet: Vier Prozent der Kinder im Bezirk besuchen überhaupt keine Kita und sprechen bei der Einschulungsuntersuchung häufig kaum Deutsch. „Hier müssen wir unsere Anstrengungen für eine vorschulische Sprachförderung intensivieren“, sagt die Stadträtin. Ihr Bezirksamtskollege, Sozialstadtrat Ephraim Gothe (SPD), setzt auf „integrierte Stadtteilentwicklung“, auf die soziale Komponente.
Klar ist für Bürgermeister von Dassel: „Es müssen in Mitte mehr Kitaplätze geschaffen werden.“ Was „sehr schwierig“ sei, sagt Sandra Obermeyer. 1000 fehlen in den über 300 Einrichtungen im Bezirk. „Eine Herausforderung für die nächsten fünf Jahre“, sagt Ephraim Gothe.
Die Untersuchungsergebnisse finden sich im Detail auf http://asurl.de/13-p.
Autor:Karen Noetzel aus Schöneberg |
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