"Mit Wischiwaschi sind wir nie vorangekommen"
Bürgermeister Martin Hikel über Mieten, Egoisten und Arbeitsplätze der Zukunft
Martin Hikel ist seit 2018 Neuköllns Bürgermeister. Berliner-Woche-Reporterin Susanne Schilp sprach mit ihm über das vergangene und das neue Jahr, über Probleme und Erfreuliches.
Worüber haben Sie sich im vergangenen Jahr am meisten geärgert?
Martin Hikel: Über den grassierenden Antisemitismus und Judenhass, der in zu vielen Ecken unserer Stadt zu sehen und zu hören war. Und sogar in die Bezirksverordnetenversammlung hineingetragen wurde, bei fast jeder Sitzung. Das ist einfach unerträglich. Ja, der Krieg in Gaza ist schlimm, aber nichts rechtfertigt Hass gegen Jüdinnen und Juden. In ganz Deutschland mussten wir leider feststellen, dass in den letzten Jahren zu wenig für ein friedliches Zusammenleben gemacht wurde. Und Neukölln stand da leider zu oft im Fokus.
Und worüber haben Sie sich gefreut?
Martin Hikel: Wir haben viel in diesem Jahr zu Ende gebracht, sehr viel sogar. Mit dem „Leonardo da Vinci“ in Buckow haben wir ein neues Gymnasium gebaut, gleich mehrere neue Jugend- und Familienzentren konnten wir eröffnen: im Reuterkiez das Blueberry, in Rudow das NW80. Ein beeindruckender architektonischer Bau übrigens. Unsere Aufgabe als Bezirksamt ist, eine gute Daseinsvorsorge zu ermöglichen. Und dazu gehört eben, trotz aller Schwierigkeiten möglichst viel für die Menschen auf die Beine zu stellen. Ich will Dinge abschließen und dranbleiben. Ein Beispiel ist die Villa in Buckow, in der die Großfamilie Remmo gewohnt hat. Im Mai wurde sie nach langem Rechtsstreit geräumt, weil wir als Bezirksamt drangeblieben sind. Das zeigt, ein langer Atem zahlt sich aus.
Was möchten Sie 2025 unbedingt voranbringen?
Martin Hikel: Ich will, dass wir noch bürgernäher werden und die Verwaltung effizient arbeitet. Das heißt, dass wir Verwaltung endlich digitalisieren müssen. Das heißt aber nicht, dass sie nur noch über den Computer erreichbar ist. Im Gegenteil. Ich will, dass wir noch bessere Angebote für die Menschen machen, zum Beispiel durch die Wiedereinführung des mobilen Bürgeramts und durch genug Termine. Verwaltung muss einerseits greifbar sein. Andererseits muss sie effizient sein, und das geht am besten, wenn die Prozesse im Hintergrund digitalisiert werden und wir weniger Akten von A nach B schleppen. Da hinkt Berlin leider anderen europäischen Hauptstädten weit hinterher.
Der Senat fährt einen harten Sparkurs, damit fehlt es auch den Bezirken seit Jahren und an vielen Stellen an Geld. Wo sollte auf keinen Fall gespart werden?
Martin Hikel: Bildung, Sicherheit und Sauberkeit müssen weiter im Mittelpunkt stehen. Ich weiß auch, dass das jeder Politiker erzählt, aber es ist doch so, besonders in Neukölln. Die Drogenproblematik ist spürbar, nicht mehr nur im Norden, auch in Britz und selbst in Rudow konsumieren Menschen Drogen, die Spritzen bleiben liegen. Das kann uns nicht egal sein, und deshalb brauchen wir mehr Sozialarbeit, um diese Menschen zu betreuen, – und ein besseres Sicherheitsgefühl für alle. Langfristig ist und bleibt aber Bildung unser Steckenpferd. Wir sanieren und bauen Schulen, wir kümmern uns um gute Schulhöfe und Turnhallen. Nur wenn die Kinder mit einem vernünftigen Abschluss von der Schule gehen, haben sie Zukunftsperspektiven. Wir haben die letzten Jahre viel geschafft und mit die besten Schulen der Stadt, aber wir sind noch lange nicht am Ziel.
Sehen Sie auch Möglichkeiten, wie dauerhaft gespart werden könnte?
Martin Hikel: Das ist eine schwere Frage für einen Bezirkspolitiker, der seit Jahren versucht, mit zu wenig Geld zu arbeiten. Aber ich habe manchen Stadträten klargemacht, dass in den Bereichen besser gesteuert werden muss. Wenn wir weniger Geld vom Senat kriegen, müssen wir umso genauer schauen, wie wir es ausgeben. Außerdem glaube ich, dass die Mentalität, dass immer mehr umsonst sein soll, ein Irrweg ist. Die Stadt funktioniert auch, wenn sich reichere Eltern beim Schulmittagessen beteiligen. Und ich verstehe bis heute nicht, warum der Senat das schon günstige Deutschlandticket mit Steuergeldern subventioniert hat oder weshalb in den Parkzonen der Anwohnerparkausweis zehn Euro pro Jahr kostet. Damit können wir nicht mal den Verwaltungsaufwand ausgleichen. Das Geld hätten wir wirklich besser verwenden können.
Viele Menschen machen sich über die steigenden Mieten Sorgen. Ein Wohnungswechsel innerhalb des Bezirks ist kaum noch möglich. Wie stellt sich die Lage für Sie dar?
Martin Hikel: Der Wohnungsmarkt ist für sehr viele das größte Problem in der Stadt, und das kann ich sehr gut nachvollziehen. Die Mietpreise sind unanständig hoch, und in einem Bezirk wie Neukölln gibt es kaum noch Platz für Neubauten. Mir macht Sorge, dass das zunehmend Familien trifft, die dann ganz aus der Stadt ziehen. Natürlich werden sie der Stadt fehlen. Die Lage bei den neu gebauten Sozialwohnungen wird besser, zum ersten Mal seit 2014 wurden dieses Jahr 5000 Wohnungen fertig. Aber trotzdem: Wir müssen weiter bauen, bauen, bauen, damit die Preise nicht weiter steigen.
Was sind für Sie die größten Probleme im Bezirk?
Martin Hikel: Die, die alle sehen, die mit der U-Bahn fahren oder im Bezirk unterwegs sind: mangelnde Sauberkeit, Drogenkonsum, Rücksichtslosigkeit. Das nervt und verunsichert die Menschen und schadet unserem Bezirk, der tausendmal schöner ist als sein Ruf. Deshalb müssen wir all den Egoisten die rote Karte zeigen, die sich daneben benehmen, egal ob auf der Sonnenallee oder in der U8. Wir brauchen mehr gegenseitigen Respekt. Und wenn das nicht funktioniert, brauchen wir eine gut ausgestattete Polizei und eine Justiz, die den Rechtsstaat absichert, schnelle und klare Urteile fällt. Mit Wischiwaschi sind wir in Neukölln nie vorangekommen.
Und wo liegen die größten Stärken und Potenziale?
Martin Hikel: Das sind vor allem die Menschen, die hier leben. Ob sie nun hier geboren sind oder in Barcelona, Tel Aviv oder Damaskus: Die allermeisten wollen friedlich mit-einander leben. Dadurch entsteht Kreativität, Freiheit, urbanes Leben. Vielleicht ist Neukölln deshalb so ein Magnet für junge Menschen aus der ganzen Welt, weil hier wirklich Freiheit möglich ist, wo wir respektvoll miteinander umgehen. Aber neben der Kunst und Kreativität bringen diese jungen Menschen auch die Perspektive für unsere Zukunft mit. In diesem Jahr sind mehrere Hochschulen in Neukölln entstanden. Auf dem ehemaligen Philip-Morris-Gelände entstehen neue Flächen für Start-ups und Industrie. Das ist ein riesiges Potenzial, für Arbeitsplätze der Zukunft. Darauf bin ich sehr gespannt!
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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