"Klein-Hollywood"
An der Schönhauser Allee lernten die Bilder laufen
Wenn heute über großartige Filme geredet wird, geht der Blick meist nach Hollywood. Oder zumindest – wenn es um den deutschen Film geht – nach Babelsberg. Kaum im öffentlichen Bewusstsein ist hingegen, dass die deutsche Filmgeschichte in Pankow begann.
Die Geschichte des Films in Deutschland nahm ihren Anfang dort, wo die Schönhauser Allee und die Kastanienallee unweit des heutigen U-Bahnhofs Eberswalder Straße zusammenkommen: 1892 machte Max Skladanowsky (1863-1939) in einem Atelier im obersten Stockwerk an der Schönhauser Allee 148 die ersten Filmaufnahmen der Welt. Er filmte seinen Bruder Emil mit einem Fotoapparat, den er zu einer Filmkamera umbaute. Emil vollführte sportliche Übungen und Max lichtete ihn dabei ab. Auf den ersten Filmschnipseln der Welt ist daher im Hintergrund auch ein Stück Prenzlauer Berg zu sehen.
Deutschland war noch nicht reif für den Film
Bis 1894 vervollkommnete Max Skladanowsky diese erste Filmkamera und entwickelte den Projektionsapparat Bioscop. Die Gebrüder Skladanowsky waren Ende des 19. Jahrhunderts mit ihren Vorführungen von Kurzfilmen Stars im Varieté Wintergarten. Danach reisten die Brüder durch Europa und gastierten unter anderem in Kopenhagen und Stockholm. Doch Deutschland war noch nicht reif für den Film. Es gab keine Bank, die bereit war, die weitere Entwicklung der Filmtechnik zu finanzieren. So widmeten sich die Skladanowskys bald anderen Dingen. Letztlich wurden Franzosen Vorreiter der heutigen Filmwirtschaft, nämlich die Brüder Lumière mit ihrem Cinématographen.
Max Skladanowsky verdiente später seinen Lebensunterhalt mit dem Vertrieb von Abblätterbüchern, im Volksmund Daumenkino genannt, sowie mit dem Verkauf dreidimensionaler Bilder, also plastischen Wandbildern. In späteren Jahren gerieten die beiden Brüder hinsichtlich der Urheberschaft am Bioscop in eine Auseinandersetzung, die die Urheberrechtskammer Berlin erst 1930 zu Gunsten von Max Skladanowsky entschied, der damit als der deutsche Filmerfinder gilt.
Im Straßenbild Pankows wird an zwei Orten an den Filmerfinder erinnert: Zum einen ist auf der Verkehrsinsel an der Schönhauser Allee/Ecke Kastanienallee als Mosaik ein „Filmstreifen“ mit dem Namen Skladanowsky ins Pflaster eingelassen. Die Idee dafür hatte übrigens der Pankower Künstler Manfred Butzmann. Eingeweiht wurde dieser Filmstreifen vor 25 Jahren. Zum anderen befindet sich am früheren Wohnhaus von Max Skladanowsky an der Waldowstraße 28 eine Berliner Gedenktafel, die an diesen „Pionier des Kinos“ erinnert. In dem Haus wohnen heute übrigens Gisela und Dietmar Winkler, die dort ein großes Zirkus-Archiv beherbergen. „Viele Jahre lebten wir auch noch mit Skladanowskys Tochter in Haus“, berichtet Dietmar Winkler. Als sie starb, hinterließ sie den Winklers auch etliche Erinnerungsstücke ihres Vaters.
20 Jahre nach den ersten Filmaufnahmen an der Schönhauser Allee begann ein paar Kilometer weiter in Weißensee ein weiterer Abschnitt der deutschen Filmgeschichte. Die Filmtechnik war inzwischen so weiterentwickelt, dass abendfüllende Spielfilme gedreht werden konnten. Auch die Vorführtechnik entwickelte sich entsprechend. So schossen überall kleine Kinos aus dem Boden. Um den stetig steigenden Bedarf an Filmen zu befriedigen, begannen sich Filmfirmen zu gründen.
Ihren Anfang nahm die Weißenseer Filmgeschichte in der Liebermannstraße, die seinerzeit noch Franz-Josef-Straße hieß. Hier begann im Oktober 1913 die Vitaskop GmbH unter Leitung von Jules Greanbaum mit der Produktion von Filmen. Der damalige Berliner Vorort Weißensee erlebte daraufhin eine beispiellose Blüte als Filmstandort. Von 1913 bis 1928 entstand in den Ateliers Film auf Film. Weltberühmte Regisseure drehten hier Stummfilme aller Genres.
Stars drehten in der "Filmstadt Weißensee"
Prunkvolle Abenteuer- und Detektivfilme, soziale Dramen und Liebeskomödien, Horrorfilme und psychoanalytische Filme entstanden in "Klein-Hollywood", wie die „Filmstadt Weißensee“ später auch genannt wurde. Hier wurden Klassiker wie beispielsweise „Das Cabinet des Dr. Caligari“, „Der Tiger von Eschnapur“ und „Das indische Grabmal“ gedreht. Schauspieler wie Mia May, Emil Jannings, Conradt Veidt oder Lil Dagover verliehen den Filmen den passenden Glamour. Auch Marlene Dietrich gab hier ihr filmisches Debüt.
Dass etwa um 1928 die Lichter in der „Filmstadt Weißensee“ erloschen, hing mit der Entwicklung des Tonfilms zusammen. Dafür brauchte es größere und moderner ausgestattete Ateliers, und die wurden nach und nach in Babelsberg errichtet. An die Geschichte der „Filmstadt Weißensee“ erinnert heute eine Berliner Gedenktafel an der Berliner Allee/Ecke Liebermannstraße. Nach Meinung der Mitglieder des Weißenseer Vereins "Freunde des Kinos Toni" ist das aber zu wenig: „Weißensee hatte in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts große Bedeutung für die Entwicklung des Films in Deutschland", erklärt Vereinsmitglied Rainer Hässelbarth. „Wir setzen uns dafür ein, dass an diese Geschichte Weißensees noch auffälliger erinnert wird. Die Weißenseer Filmgeschichte ist schließlich eine Sache, die auch für viele Touristen interessant ist.“
Deshalb schlugen die Vereinsmitglieder vor zehn Jahren vor, dass mit einem Kunstwerk an die Filmgeschichte Weißensees erinnert werden sollte. Zu einem Kunstwettbewerb war man bereits mit der Kunsthochschule Weißensee in Gespräch. Die Pankower Verordneten lehnten aber einen entsprechenden Antrag ab. Begründung: Es werde bereits ausreichend an die „Filmstadt Weißensee“ erinnert, unter anderem mit der Berliner Gedenktafel, dem Namen Caligariplatz und der dortigen Stele des touristischen Wegeleitsystems. Letztere wurde allerdings inzwischen von der Wall GmbH wieder abgebaut.
Vielleicht sollte die Idee des Kunstwerks in diesem Jahrzehnt also doch wieder aufgegriffen werden? Denn vor 100 Jahren galt Weißensee schließlich noch als „Klein-Hollywood“.
Autor:Bernd Wähner aus Pankow |
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