Von Killern und anderen Exoten
Bei Miss Marple gibt es mörderisch gute Geschichten
Seit 22 Jahren können die Berliner bei Cornelia Hüppe nach dem passenden Krimi stöbern. Auch Autoren lesen bei ihr regelmäßig aus ihren mörderischen Neuerscheinungen. Wie Edith Niedick am 28. November. Es ist die letzte Lesung bei „Miss Marple“.
„Lesen macht schön“ steht draußen an der Tür. Ein Grund mehr, durch die Glastür zu treten. Drinnen trifft der Buchmensch auf eine Riesensammlung von Schönmachern. Um die 2800 Titel halten sich in deckenhohen Regalen aufrecht. Wie im heimischen Wohnzimmer lässt es sich hier nach dem passenden Krimi stöbern und auf dem Sofa gemütlich Verbrecher jagen. Miss Marple, die Superdetektivin, beobachtet mal wieder alles, um Hinweise zu sammeln. Ihre Verabredung erkennt sie sofort an der Kamera. „Vor zwei Jahren haben wir das runde Jubiläum meiner Buchhandlung groß gefeiert“, sagt Cornelia Hüppe. „Aber 22, das klingt doch auch gut.“ Womit sie völlig recht hat. In Zeiten des Buchladensterbens zählt jedes Jahr.
Ihre Buchhandlung „Miss Marple“ hat Cornelia Hüppe jedoch nicht gegründet, um im digitalen Heute mit einer Spezialisierung auf Kriminalliteratur zu überleben. „Ich habe immer schon viel gelesen“, erzählt sie. „Natürlich nicht nur Krimis.“ Trotzdem erinnert sie sich an ihren ersten sofort. „Emil und die Detektive“, damals war sie sechs Jahre alt. Von mörderisch guten Geschichten, vom Nervenkitzel und Charakteren wie Hercule Poirot und Jane Marple ist sie dann nicht mehr losgekommen. Vor allem klassische Krimis liest Hüppe heute noch „super gerne“ – und gern auch öfter. Die „Marseille Trilogie“ zum Beispiel. „Da fange ich immer wieder an den gleichen Stellen an zu weinen.“ Auch von Leonardo Padura ist die 60-Jährige ein Fan. „Seine Sätze sind wie Musik.“ Oder James Lee Burke, ein echter Krimiliterat. Seine Thriller spielen in den Südstaaten, sind sozialkritisch und nicht selten politisch. Was Cornelia Hüppe gefällt. „In Krimis geht es nicht mehr nur um Tote, es geht um gesellschaftliche Entwicklungen.“ Der Krimi habe sich emanzipiert. Weg vom schlechten Ruf schlichter Unterhaltungsliteratur hin zu einer Art Seismograf, der der Gesellschaft den Spiegel vorhält. „Aber es gibt natürlich wie überall in der Belletristik auch beim Krimi gute und schlechte Bücher.“
Die guten stehen in Hüppes Buchladen an der Weimarer Straße. In ganz Berlin gibt es nur zwei Krimibuchhandlungen, die andere ist in Kreuzberg. „Miss Marple“ hat auch englische und spanische Krimis und Krimis für Kinder. Und Exoten. Asiatische wie „Tokio Express“ von Matsumoto Seicho, der japanischen Agatha Christie. Oder „Schweinezeiten“ von Gary Victor, der zu den meistgelesenen Schriftstellern Haitis gehört. Auch Krimis aus Afrika sorgen für abgekaute Fingernägel. Fein säuberlich sortiert hat Cornelia Hüppe die Titel nach den Ländern, in denen die Handlung spielt. Das hat einen Grund. „Viele Kunden suchen skandinavische Krimis“, sagt Hüppe. „Oder sie fahren in den Urlaub nach Barcelona und wollen unbedingt einen Krimi von dort lesen.“ Hier hilft Miss Marple gern weiter. Schließlich ist sie belesen und kennt sich aus mit den besten Krimis aller Zeiten. Egal, ob blutiger Thriller, hochpolitischer Krimi oder Kriminalkomödie. Das wissen ihre Kunden zu schätzen. „Eine junge Frau hat mal zu mir gesagt: Ihr Laden ist schön, weil er nicht so kommerziell ist.“ Cornelia Hüppe hat das stolz gemacht.
Eröffnet hat die gelernte Buchhändlerin und studierte BWL-erin ihre Krimibuchhandlung erst mit knapp 40 Jahren. „Ich wollte was Neues machen, selbständig sein.“ Erster Gedanke war ein Buchgeschäft für Kinder. Doch ihre Passion zum Krimi war stärker. Am 24. November 2002 eröffnete sie dann im Erdgeschoss in der Weimarer Straße 17 mit rund 1500 Büchern. „Viele Regale standen anfangs noch leer.“ Mit den Jahren kamen dann immer mehr Bücher dazu. Dank ihres „Kriminäschens“ hat die Buchhändlerin stets den richtigen Riecher, was ihren Lesern gefallen könnte. Sie bestellt aber nicht nur Krimis, sondern auf Wunsch auch jede andere Literatur.
Im Charlottenburger Kiez ist Cornelia Hüppe vor allem als „Miss Marple“ bekannt. Kaum einer kenne ihren richtigen Namen, sagt sie und lächelt. „Das ist okay.“ Nur manchmal, da wäre sie lieber privat. Zum Beispiel beim Bäcker um die Ecke. Wie oft hat sie da schon beim Schrippenkauf gehört: „Hallo Miss Marple, können Sie mir ein Buch zurücklegen?“ Legendär sind Hüppes Krimilesungen. Dann kommen Autoren vorbei und lesen aus ihren mörderischen Neuerscheinungen. Oder Prominente stellen Krimis vor. „Einmal war Ronald Zehrfeld hier, ein total sympathischer Mann“, erinnert sich Hüppe. So sympathisch, dass sich viele Leser(innen) das Buch von dem Schauspieler signieren ließen.
Die Lesungsära geht jetzt dem Ende entgegen. Es lohne sich kaum mehr, sagt Hüppe. „Seit Corona mögen es die Leute nicht mehr so kuschelig.“ Und so wird die Krimibuchhandlung "Miss Marple" am 28. November zum letzten Mal Schauplatz eines Verbrechens. Für den mörderisch guten Abend sorgt die Kölner Autorin Edith Niedieck. Der Abend ist allerdings schon komplett ausverkauft.
Und Cornelia Hüppe alias Miss Marple? Will sie nicht mal einen eigenen Krimi schreiben? „Nein“, sagt sie zum Abschied. „Ganz sicher nicht.“ Aber bei dieser Krimileidenschaft kann man ja nie wissen.
Autor:Ulrike Kiefert aus Mitte |
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