Lernen mal ganz anders
Grundschule am Traveplatz jetzt mit "Bauereignis"-Klassenraum
Hochtische, Lernbars und ein Sitzkreis: In der Grundschule am Traveplatz geht Lernen jetzt anders. Denn dort gestalteten Erstklässler ihren Klassenraum zum „Bauereignis“ um.
Die Klassentür steht offen. Drinnen hat man den gesamten Raum sofort im Blick. In der Mitte ein fester Sitzkreis, Bänkchen mit Yogikissen und Lernbars mit hohen Hockern, eine gemütliche Lesehöhle und viel Platz für Regale. Im Klassenraum der 1b geht Lernen mal ganz anders. Keine Kreidetafel an der Wand und aufgereihte Doppeltische, stattdessen ein Raum, der individuelles Lernen zulässt: stehend am Regal oder am Zweierhochtisch sitzend, auf kleinen Bänken oder auf dem Boden liegend.
An der Grundschule am Traveplatz haben die Pädagoginnen der inklusiven Modellklasse im vergangenen Schuljahr den Klassenraum ihrer ersten Klasse nach dem Churer Modell, einem Konzept aus der Schweiz, umgestaltet. Das Architekturbüro Bauereignis Sütterlin Wagner half dabei. Ziel war es, einen Klassenraum zu kreieren, der zwei Funktionen gleichzeitig erfüllt: Die Kinder sollten ihn sowohl fürs (bewegte) Lernen als auch zum Entspannen nutzen können, frei nach dem Motto „Bewegt statt starr und zappelig“. Als Schulleiterin Patricia Lalaounis das erste Mal von „Bauereignis“ hörte, war sie sofort begeistert. „Wir fanden die Idee für unser Inklusionskonzept genau passend.“ Ein Klassenraum, der das frontale Unterrichten aufbricht, in dem die Kinder mit dem Lernmaterial wandern und entscheiden, ob sie sich stehend, sitzend oder liegend damit beschäftigen wollen. „Hier findet man nicht die übliche Einrichtung eines Unterrichtsraums“, so Patricia Lalounis. „Er wurde nach den Vorstellungen der Kinder individuell gestaltet und das macht ihn so besonders.“ Auch Klassenlehrerin Sarah Fröhlich, die das Inklusionskonzept der Grundschule mitentwickelt hat, hätte gern mehr solcher "Bauereignis"-Musterklassenzimmer. „Es ist ein schöner Raum des Lernens, aber auch des Wohlfühlens.“ Mit Rückzugsorten für ungestörtes Lernen oder Entspannen. „Und die Kinder lernen hier als Gruppe, sie achten aufeinander, haben Respekt“, erklärt die Sonderpädagogin.
Bei der Gestaltung und Einrichtung des neuen Klassenraums waren alle 22 Schülerinnen und Schüler der 1b beteiligt. Das gehört zum Konzept von „Bauereignis“. In der Entwurfsphase werden Ideen gesammelt, auf ihre Realisierbarkeit geprüft und aus Pappe, Papier und Holz erste Entwürfe gefertigt. Dann werden die Wunschmöbel in der Schule gebaut.
Das Berliner Projekt „Bauereignis“ ist 2007 an der Kreuzberger Nürtingen-Grundschule gestartet. Damals lernten die Kinder von Katharina Sütterling und Susanne Wagner dort. Beide bemängelten, dass Schulen und Klassenräume oft ohne diejenigen geplant und gebaut werden, die sie später nutzen. Das wollten sie ändern. Und so plant das Projektteam aus Architektinnen, Fachberatern, Studenten und Profihandwerkern bis heute gemeinsam mit Lehrern, Erziehern und Schülern, wie sie ihre Räume nutzen können. Die jeweilige Schule wird dann für eine Woche zur Kinderbaustelle. Mindestens 70 solcher Kinderbaustellen gab es bisher. Die Grundschule am Traveplatz mit rund 390 Schülern ist die erste Schule in Friedrichshain und die zweite im Bezirk, die ein bewegtes Klassenzimmer von Bauereignis hat. Das Projekt wird vom Senat mitfinanziert. Und auch der Edeka-Supermarkt im Kiez spendet der Schule regelmäßig Geld.
An der Grundschule am Traveplatz hofft Schulleiterin Lalaounis, dass das Projekt Schule macht und den Lehrern vor allem Mut. In Zeiten, in denen (Sonder)Pädagogen fehlen, Klassen immer größer werden und die Schüler immer verschiedener.
Autor:Ulrike Kiefert aus Mitte |
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