Der schreibende Arzt: Alfred Döblin und seine Spuren im Bezirk
2010 gab es einige Aufregung um Alfred Döblin. Genauer gesagt um seine Büste.
Sie befand sich bis dahin fast 20 Jahre an der heutigen Karl-Marx-Allee 129/130. Dort hat der Schriftsteller und Arzt lange gelebt, auch seine Praxis unterhalten. Die Büste war weg, wurde wahrscheinlich das Opfer von Metalldieben.
Die Betroffenheit über den Raub zeigte, dass zwischen Alfred Döblin (1878-1957) und dem Bezirk eine besondere Beziehung besteht. Kein anderer Literat mit Weltruhm hat dort so viele Spuren hinterlassen. Zwar werden Friedrichshain und Kreuzberg in seinem wichtigsten Werk "Berlin Alexanderplatz" nur am Rand gestreift, dafür spielen sie in anderen, wenn auch weniger bekannten Büchern eine Rolle. Vor allem aber: Alfred Döblin hat fast die Hälfte seines Lebens dort verbracht. Mit einigen Unterbrechungen von 1888 bis 1931.
Geboren wurde Döblin in Stettin. Im Alter von zehn Jahren verließ der Vater die Familie. Die Mutter zog mit fünf Kindern nach Berlin, weil dort ihre teilweise wohlhabenden Brüder wohnten. Die erste Unterkunft fanden sie an der Blumenstraße. Die Gegend blieb in wechselnden Wohnungen auch in den kommenden Jahren ihr Zuhause. Grüner Weg, die heutige Singerstraße oder die Markusstraße waren einige der folgenden Adressen. Teilweise gehört dieses Gebiet heute zum Bezirk Mitte.
Nicht nur diese Angaben finden sich in dem Buch "Döblins Berlin" von Michael Bienert, das Ende 2017 erschienen ist. Es gibt darüber hinaus manche interessante Querverweise. Auch zu Döblins Zeit im Kreuzberger Urban-Krankenhaus. Dort war er von 1908 bis 1911 Assistenzarzt. Im 1970 eröffneten Neubau erinnert die 20 Jahre später eingerichtete Alfred-Döblin-Bibliothek an ihren berühmten Mediziner. Anlässlich des 125. Gründungstages des Krankenhaus 2015 wurden Schautafeln auf der Freifläche aufgestellt. Eine zeigt Alfred Döblin und seine Frau, die Medizinstudentin Erna Reiss. Ihre Hochzeit war der Grund, warum er die Klinik verlassen musste. Assistenzärzte durften damals nicht verheiratet sein.
Döblin eröffnete seine erste eigene Praxis als Arzt und Geburtshelfer in der Blücherstraße 18. Zu den Kindern, die mit seiner Hilfe auf die Welt gekommen sind, gehörte Klaus Gysi, später DDR-Kulturminister und Vater des Linken-Politikers Gregor Gysi. Die Gegend ist auch der Schauplatz eines seiner frühen Romane: "Wandzeks Kampf mit der Dampfturbine", erschienen 1918. Er handelt von einen Geschäftsmann, der sich auch mit kriminellen Methoden eines Konkurrenten erwehrt. Das Hallesche Tor und das Patentamt an der Gitschiner Straße sind einige Orte, die dort erwähnt werden, ebenso das einstige Postamt am Tempelhofer Ufer 1. Im Nachbargebäude befand sich eine Unfallstation, in der Döblin zeitweise als Notarzt arbeitete. Auch spielt Kreuzberg in seinem späteren Exilroman "November 1918" eine Rolle. Zum Beispiel die Dragonerkaserne am Mehringdamm.
Während des Kriegs vorwiegend in Frankreich, kehrte Döblin Mitte November 1918 nach Berlin zurück und erlebte die Novemberrevolution. Seine Schwester wurde während der Straßenkämpfe von einem Granatspiltter tödlich getroffen. Er schloss sich zunächst den Unabhängigen Sozialisten (USPD) an, kritisierte die Weimarer Republik, wurde gleichzeitig zum Kämpfer für die Demokratie.
Bereits 1913/14 lag laut Michael Bienert Döblins Arztpraxis in der Frankfurter Allee 194 (jetzt Nummer 104). Von 1919 bis 1931 wohnte und praktizierte er in der damaligen Frankfurter Allee 340. Das Haus befand sich in etwa in Höhe der heutigen Gebäude 129 und 130. Dort, wo einst die Büste stand. Nicht allzu weit entfernt von Berlin-Alexanderplatz. Der gleichnamige Roman erschien 1929 und avancierte schnell zum Bestseller. 1931 wurde er zum ersten Mal verfilmt. Eine Schlüsselszene spielt am Märchenbrunnen im Volkspark.
Alfred Döblin zog im gleichen Jahr an den Kaiserdamm nach Charlottenburg. Als Jude und Sozialist schon früh im Visier der Nazis, emigrierte er am 28. Februar 1933, dem Morgen nach dem Reichstagsbrand, zunächst nach Frankreich, später in die USA. Seine Reise ins Exil begann am Anhalter Bahnhof. Er kehrte nach dem Zweiten Weltkrieg noch einmal zurück, fühlte sich fremd und seine während der Emigration erfolgte Hinwendung zum Katholizismus wurde von einstigen Weggenossen nicht verstanden. Alfred Döblin starb am 25. Juni 1957 im psychiatrischen Landeskrankenhaus im badischen Emmendingen.
Zu seinem 100. Geburtstag 1978 hat der Bezirk Kreuzberg einen Alfred-Döblin-Platz eingeweiht. Er befand sich damals im Schatten der Mauer, am Ende der Dresdner und Luckauer Straße. Inzwischen ist dort eine Nahtstelle zwischen Kreuzberg und Mitte.
1987 zeigte das Kunstamt des Bezirks eine Ausstellung zu Leben und Werk des Schriftstellers. Nach der Wiedervereinigung wurde er 1992 durch die Büste vor seinem nicht mehr vorhandenen Wohnhaus an der Karl-Marx-Allee gewürdigt. Sie wurde ein Jahr nach dem Diebstahl durch ein Duplikat ersetzt. Der Künstler Siegfried Wehrmeister verfügte noch über den Gipsabdruck und gestaltete einen neuen Kopf. Er befindet sich seither im Eingangsbereich der Bezirkszentralbibliothek Pablo Neruda an der Frankfurter Allee. Wer das Haus betritt und etwas nach links blickt, schaut zuerst auf Alfred Döblin.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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