Hohler Zahn oder stolzer Turm: Ein Wahrzeichen erzählt seine Geschichte
Heinersdorf. Das kann doch wohl nicht wahr sein! Wie ich aussehe! Der Putz bröckelt. Ich ähnele eher einem hohlen Zahn mit Karies. Und dabei sollte ich doch mal als Rathausturm das Prunkstück von Heinersdorf werden.
Mit dem Rathausbau wurde 1911 begonnen. Zunächst entstand ich. Ich sollte Wasserturm und Rathausturm in einem sein. Deshalb hatte ich auch viele Jahre noch eine Turmuhr. Doch dann kam der Erste Weltkrieg. Die Bauarbeiten wurden unterbrochen, die Landgemeinde kam 1920 zu Groß-Berlin, ein eigenes Rathaus war nicht mehr nötig. Ich blieb aber mit meinen stattlichen 46 Metern stehen. Einen Lichtblick gab es 1934/1935. Da baute man zu meinen Füßen eine Schule. Ein Teil von mir wurde dabei einbezogen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg zog in meine Obergeschosse die sowjetische Besatzungsmacht. Die kontrollierte hier den Flugverkehr von und nach Tegel. Nur in den unteren Geschossen lief der Schulbetrieb noch ein paar Jahre weiter.
Inzwischen stehe ich seit vielen Jahren leer – und unter Denkmalschutz. Ohne Funktion. Ohne jemanden, der sich um mich, mein Äußeres und mein Innenleben kümmert. Man sieht es. Nicht nur erhebliche Schäden an der Fassade machen mir zu schaffen, im Juni 2014 brannte es auch noch in meinem Innern. Im Verlauf der Löscharbeiten stürzte das hölzerne Treppenhaus in mir zusammen.
Dabei hatte ich schon mal Hoffnung. 2008 wurde ich von zwei jungen Projektentwicklern gekauft. Die wollten mich sanieren. In mir sollten Wohnungen entstehen. Ich freute mich schon darauf, wieder Kinderlachen in meinen Gemäuern zu hören. Auf dem Heinersdorfer Dorffest wurden sogar Broschüren verteilt. Aus mir hätte wirklich ein schmuckes Kerlchen werden können. Stattdessen wurde ich aber weiterverkauft.
Auch die neuen Eigentümer planen einen Umbau zu Wohnzwecken, sagte mir jetzt Kerstin Lindstädt von der Unteren Denkmalschutzbehörde im Bezirksamt. Aber die Schaffung von Wohnraum in einem Denkmal wie mir ist echt nicht leicht. Rettungswege sind nötig, aber meine Grundfläche ist sehr klein. Deshalb stellte Frau Lindstädt den Bau eines zweiten Turmes in Aussicht. Über den könnten die geplanten Geschosswohnungen erschlossen werden.
Das machte meinen neuen Eigentümern, die nicht genannt werden möchten, Mut. Sie stellten im vergangenen Jahr einen Bauantrag. Doch dessen Bearbeitung ruht. Es müssen grundsätzliche Probleme geklärt werden. Die hängen mit der benachbarten Schule zusammen. Da sind zum Beispiel Baulasten und Abstandsflächen zu klären.
Außerdem geht es um Lärmschutz für die, die künftig in mir wohnen möchten. Wenn die Schule, wie geplant, weiter wächst, wird es ja nicht leiser. Und eine Doppelsporthalle soll nebenan auch noch entstehen. Deshalb sollen meine neuen Eigentümer sagen, wie sie sich ein einvernehmliches Nebeneinander von Schule und Wohnen vorstellen. Noch gibt es von ihnen keine Antwort auf diese Frage.
Für mich als Baudenkmal hat das Ganze erhebliche Konsequenzen. Wenn keine Wohnungen, dann bliebe mir nur noch eine gewerbliche Nutzung, hat Kerstin Lindstädt gesagt. Aber ob sich das rechnet bei dem Sanierungsaufwand? Und nun wird mir wirklich angst und bange: Wenn nichts mehr geht, wäre dann auch ein Abriss möglich? Einem Antrag müsste die Denkmalschutzbehörde, sollte er denn wirklich gestellt werden, nach Gesetzeslage zustimmen. „Dieses Szenario wollen wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch nicht befürchten“, versucht mich die Denkmalschützerin zu beruhigen. „Der Heinersdorfer Wasserturm besitzt neben dem Denkmalwert natürlich einen hohen Identifikationswert.“ Ich hoffe, dass auch meine neuen Eigentümer diese Auffassung teilen. BW
Autor:Bernd Wähner aus Pankow |
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