Im Gespräch mit den Kiezbewohnern
Serafina Serra und Christina Seidel machen mobile Stadtteilarbeit im Salvador-Allende-Viertel

Serafina Serra und Christina Seidel laden im Allende-Viertel zum Gespräch ein. | Foto:  Philipp Hartmann
3Bilder
  • Serafina Serra und Christina Seidel laden im Allende-Viertel zum Gespräch ein.
  • Foto: Philipp Hartmann
  • hochgeladen von Philipp Hartmann

Ein sonniger Mittag im Allende-Viertel. Im Schatten eines großen Baums stellt Christina Seidel das Lastenfahrrad ab. Auf der Wiese nahe der modularen Unterkunft für Geflüchtete wird sie mit ihrer Kollegin Serafina Serra in den kommenden drei Stunden Gespräche mit Anwohnern führen. Mitgebracht haben sie Tee, Kaffee und Kekse, eine Decke, zwei Tische und ein paar Stühle.

Ein bisschen Gemütlichkeit muss schon sein, schließlich soll die Atmosphäre für einen offenen Austausch stimmen. „Authentisch sein, hinsetzen und erstmal schnacken“, fasst Christina Seidel zusammen, wie sie auf fremde Menschen zugeht. Mobile Stadtteilarbeit heißt das Angebot, das es bereits in 36 Kiezen in Berlin und seit Anfang Mai auch im Allende-Viertel gibt. Träger ist der Verein „offensiv‘91“. Die Förderung durch den Europäischen Sozialfonds läuft bis Juni 2023.

Christina Seidel und Serafina Serra sollen für eine Wiederbelebung nachbarschaftlicher Beziehungen sorgen, die nach dem Ausbruch der Pandemie zum Erliegen gekommen sind. Es geht um gegenseitiges Kennenlernen, nachbarschaftlichen Austausch und Vernetzung. Die Bewohner des Viertels sollen ermutigt werden, über ihre Bedürfnisse und Interessen zu sprechen und sich zusammenzuschließen. Die beiden Frauen sind jedoch keine Sozialarbeiterinnen. Sie bilden ein Zweierteam, wie es unterschiedlicher kaum sein könnte. Christina Seidel bezeichnet sich selbst als „klassische Quereinsteigerin“. Die 35-Jährige ist gelernte Automechanikerin. Sie studierte Philosophie, um anschließend eine Ausbildung zur Krankenschwester anzufangen. Die Schichtarbeit habe für sie nicht gepasst, doch der Umgang mit den Patienten habe ihr gut gefallen. Dabei habe sie gemerkt, dass sie gut mit den verschiedenen Menschen reden könne, wie sie erzählt.

Serafina Serra ist Italienerin. Sie stammt von der Insel Sardinien. Erst vor zwei Jahren kam sie nach Berlin. Hier angekommen, arbeitete sie in sozialen Projekten wie dem Zirkus Cabuwazi in Alt-Treptow und als Projektmanagerin in einer Nichtregierungsorganisation. Die 28-Jährige hat in Turin indische Sprachen in der Literatur studiert. Neben Hindi und Sanskrit spricht sie auch Französisch. Erzählt sie auf Deutsch von sich, sucht sie gelegentlich noch nach dem passenden Wort. Dass sie keine Muttersprachlerin ist, sieht sie aber nicht als Nachteil. Vielmehr würden ihre vielseitigen Sprachkenntnisse ihr sehr bei der Arbeit helfen, insbesondere bei der Kommunikation mit Menschen aus der im Frühjahr eröffneten Flüchtlingsunterkunft in der Salvador-Allende-Straße. „Leute aus Afghanistan sprechen oft Hindi. Sie lernen das durch das Fernsehen“, erklärt sie.

Immer donnerstags von 9 bis 15 Uhr steht das Büro des Wohngebietszentrums in der Pablo-Neruda-Straße 12-13 offen. Wer zum Beispiel Hilfe beim Schreiben von Anträgen oder am Computer benötigt, kann einfach hinkommen. | Foto: Philipp Hartmann
  • Immer donnerstags von 9 bis 15 Uhr steht das Büro des Wohngebietszentrums in der Pablo-Neruda-Straße 12-13 offen. Wer zum Beispiel Hilfe beim Schreiben von Anträgen oder am Computer benötigt, kann einfach hinkommen.
  • Foto: Philipp Hartmann
  • hochgeladen von Philipp Hartmann

Beide Frauen kannten das Viertel bis vor Kurzem selbst noch nicht. Sie wohnen in Neukölln. Seidel fing erst im April beim Verein „offensiv‘91“ an, nachdem sie sich für eine ausgeschriebene Stelle beworben hatte. Serra ist seit März dabei. Obwohl sie sich anfangs habe anhören müssen, aufgrund fehlender Ortskenntnis an Glaubwürdigkeit zu verlieren, kann Christina Seidel darin sogar einen Vorteil erkennen. So könne sie ganz locker in das Gespräch einsteigen. Es sei toll, so viele unterschiedliche Leute zu treffen und so viel unterwegs zu sein, ergänzt Serafina Serra. Im ersten Monat hätten etwa 20 Menschen ihr Gesprächsangebot angenommen. Was die Menschen im Allende-Viertel aktuell bewegt, seien unter anderem fehlende Sitzbänke, Hundeauslaufflächen und Hundekotbeutelspender sowie die Nachverdichtung mit Wohnungen. Häufiger angesprochen worden sei auch der herumliegende Müll. Dafür seien keine Jugendlichen verantwortlich, sondern Krähen, die den Abfall aus den Mülleimern picken. Gefordert würden deshalb Abfallbehälter mit Deckel. Seidel und Serra sammeln solche Vorschläge und Wünsche, um sie später an die entsprechenden Verantwortlichen weiterzuleiten. Vom Allende-Viertel haben sie in der kurzen Zeit bereits einen guten Eindruck gewinnen können. Schön grün sei es dort. Trotz der Größe des Kiezes gehe es nicht anonym zu. „Die Leute kennen sich sehr wohl untereinander“, sagt Christina Seidel. Schade findet sie, dass Projekt nur bis Juni 2023 läuft. Dann drohen die Beziehungen, die sie gerade aufbauen, wieder abzureißen.

Mit ihrem Lastenrad sind die Frauen dienstags auf der Wiese hinter dem S-Block sowie mittwochs neben der Flüchtlingsunterkunft (jeweils 12 bis 15 Uhr) anzutreffen. Donnerstags steht von 9 bis 15 Uhr ihr Büro in der Pablo-Neruda-Straße 12-13 offen. Kontakt: allende@offensiv91.de.

Autor:

Philipp Hartmann aus Köpenick

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

49 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

BauenAnzeige
2024 war Richtfest für die Grundschule in der Elsenstraße. | Foto: SenBJF
7 Bilder

Berliner Schulbauoffensive 2016-2024
Erfolgsgeschichte für unsere Stadt

Die Berliner Schulbauoffensive ist nach wie vor eines der zentralen Projekte unserer Stadt. Mit aktuell mehr als 44.000 neu entstandenen Schulplätzen setzt die Offensive ihre Ziele erfolgreich um. So wurden von 2016 bis 2023 bereits 5 Milliarden Euro in moderne Bildung investiert. Auch in den kommenden Jahren wird das derzeit größte Investitionsvorhaben für Schulen fortgesetzt. Die Offensive geht weiter und führt zu einer dauerhaft verbesserten schulischen Umgebung für unsere Schülerinnen und...

  • Charlottenburg
  • 13.12.24
  • 406× gelesen
WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 180.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom baut Netz aus
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Ab Dezember starten die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Borsigwalde, Friedenau, Frohnau, Hakenfelde, Lichtenrade, Lübars, Mariendorf, Neu-Tempelhof, Reinickendorf, Schöneberg, Spandau, Tegel, Waidmannslust, Wilhelmstadt und Wittenau. Damit können weitere rund 180.000 Haushalte und Unternehmen in Berlin einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2030 plant...

  • Borsigwalde
  • 11.12.24
  • 1.110× gelesen
WirtschaftAnzeige
Einstiegstüren machen Baden und Duschen komfortabler. | Foto: AdobeStock

GleichWerk GmbH
Seniorengerechte Bäder und Duschen

Seit März vergangenen Jahres ist die Firma GleichWerk GmbH in Kremmen der richtige Partner an Ihrer Seite, wenn es um den Innenausbau Ihres Hauses oder Ihrer Wohnung geht. Darüber hinaus bietet das Unternehmen auch seine Dienste für Hausverwaltungen an. Geschäftsführender Inhaber des Fachbetriebs ist Dennis Garte, der nach jahrelanger Berufserfahrung den Schritt in die Selbstständigkeit wagte, wobei er über ein großes Netzwerk an Kooperationspartnern sowie angesehenen Handwerksfirmen verfügt....

  • Umland Nord
  • 04.12.24
  • 771× gelesen
WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 84.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom vernetzt
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Aktuell laufen die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Berlin auf Hochtouren. Neue Arbeiten starten nun auch in Alt-Hohenschönhausen, Fennpfuhl, Friedrichsfelde, Friedrichshain, Karlshorst, Kreuzberg, Lichtenberg und Rummelsburg. Damit können nun rund 84.000 Haushalte und Unternehmen einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2023 plant die Telekom insgesamt...

  • Alt-Hohenschönhausen
  • 11.12.24
  • 1.224× gelesen
KulturAnzeige
Blick in die Ausstellung über den Palast der Republik. | Foto: David von Becker
2 Bilder

Geschichte zum Anfassen
Die Ausstellung "Hin und weg" im Humboldt Forum

Im Humboldt Forum wird seit Mai die Sonderausstellung „Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart“ gezeigt. Auf rund 1.300 Quadratmetern erwacht die Geschichte des berühmten Palastes der Republik zum Leben – von seiner Errichtung in den 1970er-Jahren bis zu seinem Abriss 2008. Objekte aus dem Palast, wie Fragmente der Skulptur „Gläserne Blume“, das Gemälde „Die Rote Fahne“ von Willi Sitte, Zeichnungen und Fotos erzählen von der damaligen Zeit. Zahlreiche Audio- und Videointerviews geben...

  • Mitte
  • 08.11.24
  • 2.117× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.