Die Hüter alter Schätze
Im Antiquariat Tode lohnt sich das Blättern
Bücher – darum ging es schon immer im Leben der Brüder Tode. Ihr Buch- und Kunstantiquariat an der Dudenstraße blickt auf eine lange Tradition zurück. Hier finden Büchernarren zwischen Titeln, Seiten und Regalen wahre Schätze.
Es ist der Geruch, der sofort betört. Der Geruch von großen Mengen Papier, in Form gebunden, die sich in den Regalen bis zur Decke stapeln und auf antiken Tischen türmen. Eine Bücherwunderkammer wie aus dem Bilderbuch, ein magischer Ort, den man für Stunden nicht mehr verlassen will. Hier treffen alte Wälzer auf moderne Publikationen, stehen Lyrik-Bände neben Erstausgaben, Kunstbücher neben Exilliteratur, Geistliches neben Erotica und Büchern aus linken Verlagen der Weimarer Republik.
Im Buch- und Kunstantiquariat Tode regiert das Chaos jedoch nur scheinbar. „Es gibt eine geheime, kreative Ordnung hier“, verrät Riewert Quedens Tode. Tatsächlich sind die 70 000 antiquarischen Titel sorgfältig sortiert und nach Sach- und Spezialgebieten geordnet. Kunst, Geschichte, Soziologie, Theologie und Judaica, viel Theorie und Politisches. Das Antiquariatsgeschäft mit Katakombe betreibt Riewert Tode mit seinem Bruder Harboe mini Tode seit 50 Jahren. Es liegt etwas abgelegen an der Dudenstraße. Riewert Tode ist ausgebildeter Buchhändler, sein Bruder Harboe gelernter Kunstglaser, der als „Buchchirurg“ im Antiquariat lädierte Exemplare ausbessert. Die zwei Norddeutschen haben sich dem anspruchsvollen Buch verpflichtet und der hehren Kunst. „Mit Büchern leben“, das ist ihre Maxime. Denn: „Ideologien und Trends kommen und gehen, die schwarzen Lettern aber bleiben bestehen.“ Was im digitalen Zeitalter nicht einfach ist. „Das Internet ist der Feind des Buches“, sagt Riewert Tode. „In 30 Jahren werden sich nur noch Spezialisten für Bücher interessieren.“ Damit ihr Bücherparadies überlebt, setzen die Todes auf Vielseitigkeit.
Auf der Jagd nach Schätzen wird man daher schnell fündig. Stolz ist Riewert Tode vor allem auf die sehr alten Bücher. Dazu gehört zum Beispiel ein Seneca auf Latein, gebunden in Leder mit Goldprägung und Goldschnitt. Tode hat den Band aus der Privatbibliothek eines verstorbenen Altphilologen. Eine echte Rarität ist auch der alte französische Atlas, der zu einem größeren Geschichtswerk über die Europäer in Asien und Afrika gehörte und von der Kirche verboten wurde, weil es gegen die Sklaverei anschrieb. Oder die Erstausgabe von Robert Musils „Grigia“ mit drei Originalradierungen von Alfred Zangerl. Todes Sammlerherz macht jedes Mal Luftsprünge, wenn er so etwas Kostbares aus einem Nachlass bekommt. Wie die 150 Jahre alte äthiopische Schrift auf Pergamentpapier in Fadenheftung, mit sechs Miniaturmalereien und Holzdeckel.
Alle 70 000 Fundstücke im Antiquariat hat Riewert Tode nicht gelesen, „nur“ etwa 7000. Aber er hat gelernt querzulesen. Als Buchhändler muss er das auch, um den Preis zu bestimmen. Je seltener ein Buch ist, desto mehr kostet es. Mehrere tausend Euro muss man dann schon mal hinblättern. Seine Reclambüchlein, und davon hat Riewert Tode jede Menge, gibt’s dagegen für 50 Cent. Bücher hortet der Antiquar auch in seiner Neuköllner Großraumwohnung, mehr als 5000 sind es inzwischen, und fast täglich bringt er neue mit. „Die stapeln sich bei uns auf den Fensterbrettern und Nachttischen“, sagt Todes Ehefrau Dörthe, die im Antiquariat mithilft. „Wenn Besuch kommt, muss ich jedes Mal den Esstisch abräumen.“ Aber so hat die studierte Theologin und Sozialwissenschaftlerin ihren Riewert kennengelernt, belesen und akribisch am Sammeln. Riewert Tode, 1943 in Flensburg geboren, kam 1967 nach West-Berlin, mitten in der Zeit der Studentenbewegung. Er arbeitete bei zwei Verlagen, in Buchhandlungen und Galerien, war damals schon Pazifist und gegen den Vietnam-Krieg. Als Buchhändler veröffentlichte er 1968 in seinem kleinen Verlag „amBEATion/Randlage“, den es mit mehr als 60 lieferbaren Titeln heute noch gibt, eine literarische Anthologie gegen diesen Krieg. Unter anderem mit Texten und Gedichten von Heiner Müller, Volker Braun und Erich Fried. Die Anthologie war für Tode der Auftakt zu einer noch größeren Sammlung. „Ich sammelte alles, was es über die Studentenbewegung gab.“ Schriften, Raubdrucke, Revolutionsblätter und Originalflugblätter, Zeitschriften, Bücher, Grafiken, Filmrollen, Gedichte und und und. 2014 kaufte die Yale Universität das größte Medienarchiv von 1968 auf. Die FAZ widmete Riewert Tode damals eine ganze Seite im Feuilleton.
Regelrecht hinterhergejagt ist der Sammler auch den norwegischen Exilschriften von Willy Brandt, den er „sehr verehrt“ hat, und vieler anderer Autoren. Der Laden hält außerdem Berlin-Literatur bereit, Kinderbücher, englische und französische Bücher, „graue Literatur“, also nicht registrierte Titel, und Tarnschriften. Ins Antiquariat integriert ist die „Kleine Galerie am Kreuzberg“ mit Bildern, Gemälden, Aquarellen und Zeichnungen, Grafiken, Mappenwerken, Plastiken, und Kunstdrucken. Nur E-Books findet man hier vergebens. „Auch wenn man jetzt fast alles auf der Glitzerscheibe lesen kann, alte Bücher werden nicht unmodern“, sagt Riewert Tode. Denn ein Sammler brauche die sinnliche Erfahrung, ein Buch will berochen, das Papier befühlt und von allen Seiten betrachtet werden.
Das Buch- und Kunstantiquariat Tode in der Dudenstraße 36 hat montags bis freitags von 14 bis 19.30 Uhr und sonnabends von 13 bis 18 Uhr geöffnet. Wechselnde Ausstellungen, Lesungen und regelmäßige Weinproben (bitte anmelden) gehören zum Angebot. Nebenan liegt die Werkstatt für Bücherrestaurierung und Bilderrahmung.
Autor:Ulrike Kiefert aus Mitte |
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