Zuflucht auf Zeit in Berlin
Ausstellung über jüdische Displaced Persons nach 1945

Straßenszene im Zehlendorfer "Düppel-Center" für Displaced Persons.  | Foto:  Wiener Library London
  • Straßenszene im Zehlendorfer "Düppel-Center" für Displaced Persons.
  • Foto: Wiener Library London
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Für die meisten war Deutschland der letzte Ort, an dem sie bleiben wollten. Und doch wurde Berlin nach Ende des Zweiten Weltkriegs ein Zufluchtsort für jüdische „Displaced Persons“. Von ihnen erzählt die neue Ausstellung „Unser Leben“ im Tempelhof Museum.

Displaced Persons, so bezeichneten die Alliierten jene, die an ihrem Aufenthaltsort nicht beheimatet waren. Sie selbst nannten sich she’erit hapletah, die letzten Überlebenden. Viele kamen aus Polen, sie flohen vor antisemitischen Pogromen und der katastrophalen wirtschaftlichen Lage.

In Zehlendorf, Reinickendorf und Mariendorf entstanden Lager, in denen die Menschen oft mehrere Jahre verbrachten. In Mariendorf eröffnete die Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen UNRRA im Juli 1946 drei Wohnblocks zwischen Eisenacher Straße, Rixdorfer Straße, Dirschelweg und Äneasstraße. „Mariendorf-Bialik-Center“ nannte sich das Viertel, in dem bis zu 4000 Menschen lebten.

Es entwickelte sich schnell zu einer kleinen, selbstverwalteten jüdischen Stadt, mit Polizei, Gerichtsbarkeit, Schulunterricht, Ausbildungsmöglichkeiten, Sportveranstaltungen, Kunst und Kultur. Auch mit den anderen Lagern standen die Bewohner in Kontakt und gemeinsam richteten sie einen Suchdienst ein, um überlebende Angehörige zu finden. Die Ausstellung gibt Einblicke in den Alltag der Displaced Persons innerhalb und außerhalb der Lager und erzählt von ihren Hoffnungen auf eine Zukunft nach der Shoah. Auszüge aus der jiddischen Zeitschrift „Undser Lebn“, die seit August 1946 erschien, nehmen dabei eine zentrale Stellung ein. Ergänzt werden sie von Selbstzeugnissen der Bewohner und historischen Fotografien.

Es geht auch um Konflikte, die sich oft um den Umgang mit der deutschen Schuld drehten. So kam es in Mariendorf zu einem fast vollständigen Boykott eines Konzerts des amerikanisch-jüdischen Geigers Yehudi Menuhin. Er war kurz zuvor mit dem Dirigenten Wilhelm Furtwängler aufgetreten, dessen NS-Vergangenheit kritisch gesehen wurde. In einer Aussprache bat Undser-Lebn-Herausgeber Elijahu Jones den Geiger, sich vorzustellen, wie sie gemeinsam durch Berlin gehen, und sagte: „Wenn Sie, der Künstler, die Ruinen sehen, werden Sie sagen: Wie schade, dass so viel Schönes zerstört wurde. Wenn wir, die wir unsere Familien verloren haben, die gleichen Ruinen sehen, werden wir sagen: Wie schade, dass so viel stehen blieb.“ Antisemitismus gab es auch im Nachkriegsberlin. So wurden die jüdischen Displaced Persons von vielen für den florierenden Schwarzmarkthandel verantwortlich gemacht, auch weil sie besser versorgt wurden als die deutsche Mehrheit. Diese Beschuldigungen empörten die Verantwortlichen in den Lagern und sie versuchten alles, Schwarzmarktaktivitäten aus den eigenen Reihen zu unterbinden.

Das klappte nicht immer. Im Januar 1947 kam es nach einem besonders üblen Fall im Mariendorfer Bialik-Center zu einer Gerichtsverhandlung. Ein Bewohner hatte vor dem Kino Tivoli in Tempelhof einem Deutschen einen Ring abgekauft. Er stammte aus dem Besitz einer in Majdanek ermordeten Frau, was der Angeklagte wusste. Er wurde für „das Schänden der Würde der sechs Millionen Opfer und Volksverrat“ aus der jüdischen Gemeinde ausgeschlossen. Alle drei Lager wurden kurz nach der Berlin-Blockade geschlossen. Etwa 5000 Personen wurden ab Ende Juli 1948 in kürzester Zeit vom Flughafen Tempelhof aus in die westlichen Besatzungszonen gebracht.

Die Ausstellung „Unser Leben – Berlin als Zufluchtsstadt für jüdische Displaced Persons nach 1945“ ist bis zum 20. März im Tempelhof Museum, Alt-Mariendorf 43, zu sehen. Geöffnet ist montags bis donnerstags von 10 bis 18 Uhr (freitags bis 14 Uhr) und sonntags von 11 bis 15 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Autor:

Silvia Möller aus Wedding

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