Schreibwerkstatt der Mark-Twain-Bibliothek
„Kinder und Jugendliche sind total kreativ“
Welcher Jugendliche nimmt heute noch einen Stift in die Hand, um eine Geschichte zu entwickeln und eigene Gedanken auf Papier zu bringen? Für die Teilnehmer der Schreibwerkstatt in der Mark-Twain-Bibliothek ist genau das jedoch ein liebgewonnenes Hobby.
Einmal im Monat treffen sich rund zwei Dutzend Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene an einem Sonnabend-Nachmittag im Freizeitforum Marzahn. Drei Stunden lang machen sie unter Anleitung kleine Schreibspiele, setzen sich mit gesellschaftlichen Themen auseinander, denken sich Geschichten aus und lesen sich diese gegenseitig vor, tauschen sich mit Gleichgesinnten aus und üben gegenseitig konstruktive Kritik. Gegenseitige Anerkennung und ein wachsendes Selbstwertgefühl gehen damit einher. Das dürfte manchen Teilnehmern, von denen sich einige als Außenseiter in der Schule fühlen, besonders guttun. Zugleich wird mit dem Projekt die Kreativität gefördert.
Der Besuch der Schreibwerkstatt sei ein Ventil, um Druck abzulassen und den Kopf zu entleeren, sagt Paul Richter (24) aus Marzahn. Er schreibe zum Beispiel auf, was ihn gerade belaste. Spannend findet er auch die Themen, die vorgegeben werden. Da geht es beispielsweise um Identität, Probleme mit den Eltern, Transgender, Diskriminierung und die Software „ChatGPT“, die aktuell in aller Munde ist. Eine der Schreibaufgaben sieht vor, aus der Perspektive einer künstlichen Intelligenz einen Text über den Sinn der Menschheit zu verfassen.
„In meiner Klasse bin ich die Einzige, die sich mit Büchern beschäftigt. Schön, dass es auch andere gibt“, erklärt Paula Carlotta Kelm. Die Hellersdorferin ist mit elf Jahren eine der jüngsten Teilnehmerinnen, hat aber schon jetzt konkrete Berufswünsche. Sie würde gern Autorin oder Grafikdesignerin werden. Den Spaß am Schreiben bringt sie mit, hat im Musikunterricht sogar schon mal ein Drehbuch verfasst. Die Schreibwerkstatt wirkt sich positiv auf sie aus. „Hier traue ich mich vorzulesen, in der Schule nicht so“, gibt sie ganz offen zu. Dieser Effekt ist auch bei anderen, eher schüchternen Kindern zu beobachten.
Nathan Schidlowski nimmt seit gut einem Jahr an den Treffen der Schreibwerkstatt teil und fährt dafür extra aus Mitte nach Marzahn. „Weil hier auch andere Kinder herkommen, die gern schreiben und nicht nur am Bildschirm hängen.“ Der 14-Jährige ist sehr introvertiert und denkt lange nach, bevor er etwas zu Papier bringt. „Ich brauche immer ein bisschen, bis mir was einfällt, aber dann fließt es.“ Schon in der Kita habe er geschrieben. Besonders gern beschäftigt er sich mit den Themen Natur und Umwelt. Über Fantasy schreibt dagegen Zora Elenja Draebert aus Biesdorf am liebsten. Die Zwölfjährige gibt zu, dass sie es nicht wirklich mag zu lesen. Trotzdem schreibe sie gern und tausche sich mit anderen aus.
Die Schreibwerkstatt biete die Chance, Gefühle auszudrücken, worüber sie nicht reden könne, erzählt Candy (16) aus Marzahn über ihre Beweggründe. Sie denkt gerade darüber nach, ein Buch zu schreiben. Lieder, Kurzgeschichten und Gedichte hat sie schon geschrieben. Sie interessiert sich für Poesie, liest aber auch gern Thriller und Werke von Jane Austen. In der Rudolf-Virchow-Oberschule, die sie besucht, werde das Schreiben kaum gefördert. Dort gebe es kaum AGs. „Ich bin sehr introvertiert, rede in der Schule eigentlich gar nicht“, sagt Vivienne (16) aus Neuenhagen, die in der Schreibwerkstatt wie ausgewechselt ist. „Es sind verschiedene Altersgruppen hier, aber wir verstehen uns alle“, erläutert sie. „Wenn man Geschichten schreibt, ist das wie ein Fragment der eigenen Seele.“ Hier werde jeder sofort angenommen, die Atmosphäre sei sehr entspannt. Sie lese unheimlich gern Horrorbücher, habe aber auch immer einen kritischen Blick. „Du kannst die beste Geschichte der Welt haben, aber wenn der Schreibstil nicht passt, bringt es nichts.“ Einen Tipp aus der Schreibwerkstatt hat Vivienne für alle parat, die eine Schreibblockade haben: einfach ein Blatt Papier nehmen und aufschreiben, was einem gerade einfällt.
Dass es das Projekt gibt, ist Renate Zimmermann zu verdanken. Die Medienpädagogin der Stadtbibliothek Marzahn-Hellersdorf hat es 2011 ins Leben gerufen. Mithilfe eines Vereins, der eine Schreibwerkstatt eingeführt hatte, nahm das Projekt in der Mark-Twain-Bibliothek damals schnell an Fahrt auf. „Bei den Texten bleibt einem manchmal die Spucke weg“, sagt sie. Die Kinder und Jugendlichen seien „total kreativ“. „Bei einigen könne sie sich gut vorstellen, dass sie Autoren werden. „Ich hoffe, dass sie dranbleiben.“
Weitere Informationen über die Schreibwerkstatt Marzahn-Hellersdorf im Freizeitforum Marzahn gibt es im Internet unter https://bwurl.de/1940.
Autor:Philipp Hartmann aus Köpenick |
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