Alkohol genießt eine zu große Akzeptanz
Suchtberatungs- und Behandlungsstelle hilft Süchtigen auf dem Weg zum Entzug
„Alkohol ist überall, gesellschaftsfähig, auch hochangesehen, ein soziales Bindemittel durch alle Gesellschaftsschichten und Berufsgruppen“, sagt Katharina Böhmert-Baum. Im Gegensatz zu anderen Drogen werde Alkohol oft nicht ernst genommen. Genau darin liege die Gefahr. Die Leiterin der Suchtberatungs- und Behandlungsstelle Marzahn-Hellersdorf hat sie täglich vor Augen.
Etwa 1000 Menschen besuchen jedes Jahr die Einrichtung am Dorfanger, Alt-Marzahn 59. Unter ihnen 88 Prozent wegen einer Alkohol-, sieben Prozent wegen einer Spiel-, zwei Prozent wegen einer Medikamentensucht. Auch Angehörige dürfen sich beraten lassen, denn sie sind meist die ersten, die Probleme bemerken. Manche kommen nach einem Gespräch nie wieder, andere wiederum bleiben über Jahre mit den Sozialpädagogen und Psychologen in Kontakt.
Viele Betroffene würden weit von sich weisen, dass sie ein Problem mit Alkohol hätten, berichtet Böhmert-Baum. Dabei seien die Signale oft eindeutig. Sechs Leitsymptome bei der Diagnose Alkoholabhängigkeit gibt es nach der „Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme“. Dazu zählen der starke Wunsch oder eine Art Zwang nach Konsum, eine verminderte Kontrollfähigkeit in Bezug auf Menge oder Regelmäßigkeit des Trinkens, körperliche Entzugserscheinungen, die Vernachlässigung von Hobbys, Freunden und Familie, eine Toleranzentwicklung und ein anhaltender Konsum trotz des Nachweises eindeutig schädlicher Folgen, ob körperlich, psychisch oder sozial. Treffen drei dieser sechs Merkmale zu, gilt derjenige als süchtig. In Deutschland sind knapp 1,8 Millionen Menschen alkoholabhängig.
Jugendliche suchen die Stelle in Alt-Marzahn in der Regel nicht auf. Für sie gibt es mit der „vista Drogen- und Suchtberatung Marzahn-Hellersdorf“ im Gesundheitszentrum Springpfuhl an der Allee der Kosmonauten am S-Bahnhof Springpfuhl eine eigene Anlaufstelle. Nach Angaben von Ove Fischer, dem Suchthilfekoordinator im Bezirksamt, nehmen dort jährlich 650 junge Leute das Beratungsangebot an. Katharina Böhmert-Baum erinnert sich jedoch daran, dass auch sie mal einem 15-jährigen Mädchen mit Alkoholproblemen gegenübersaß. Ihrer Erfahrung nach gelangen einige der Betroffenen selbst zu der Erkenntnis, ein Problem zu haben. Andere kommen erst, wenn sie von der Familie oder Freunden auf ihren problematischen Konsum hingewiesen werden.
„Wir hören uns erst einmal die Grundsituation an: Wie weit ist derjenige schon in seiner Sucht gefangen? Wie hat er sich durch die Sucht verändert? Was will derjenige selber? Man kann nichts machen, wenn derjenige nicht selbst den Wunsch nach Veränderung hat“, erklärt Böhmert-Baum. „Die Gäste sind oftmals unglaublich ehrlich und tauschen sich über Dinge aus, worüber sie sonst ungern reden. Manche versuchen aber auch zu tricksen und nicht die Wahrheit zu sagen.“
Sie und ihre Kollegen vermitteln Informationen über die Sucht und wie sich langfristig der Griff zur Flasche oder zur Tablette vermeiden lässt. Manche schaffen es allein, ihren Konsum zurückzufahren. Andere sind bereits so stark süchtig, dass ihnen nur noch ein stationärer Entzug helfen kann. Dieser wird beispielsweise im Vivantes-Klinikum Kaulsdorf durchgeführt. Sieben bis 21 Tage dauert es, bis der Giftstoff vollständig den Körper verlassen hat.
In der Beratungsstelle gibt es außerdem eine Motivationsgruppe, in der sich Betroffene austauschen können, denn auch nach einem Entzug ist die Suchtgefahr nicht gebannt. Es kann zu Rückfällen kommen. „Am Ende müssen sie selbst einen Weg finden, in einer Gesellschaft zurechtzukommen, die ständig trinkt“, sagt Böhmert-Baum.
Eigene verlässliche Zahlen zu möglichen Veränderungen des Suchtverhaltens während der Corona-Pandemie liegen der Leiterin nicht vor. Es habe aber bereits Studien und Berichte gegeben, wonach seit dem Lockdown im März, als die Menschen mehr Zeit zu Hause verbrachten, mehr gezockt und mehr getrunken wurde. Als Ursachen dafür sieht Böhmert-Baum die plötzlich fehlende Tagesstruktur sowie Vereinsamung durch fehlende soziale Kontakte.
Suchtberatungs- und Behandlungsstelle Marzahn-Hellersdorf, Alt-Marzahn 59, Telefon 54 98 86 40 (Mo 9-12, Di 9-12, Mi 13.30-17, Do 15-17 Uhr) und auf www.wuhletal.de/Suchtberatung.html,
Drogen- und Suchtberatung Marzahn-Hellersdorf, Im Gesundheitszentrum Springpfuhl, Allee der Kosmonauten 47, Telefon 290 27 81 81, Mo/Di/Do 10.30-17, Mi 13.30-18 Uhr und auf https://bwurl.de/15rb
Autor:Philipp Hartmann aus Köpenick |
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