"Vorzeigeprojekt gemeinschaftlichen Wohnens geht verloren"
Mieter an der Leipziger Straße verlieren ihre Kellerräume

Ilona Meusel ist Erstmieterin im Hochhaus an der Leipziger Straße. Jetzt kämpft sie als Mieterbeiratsvorsitzende für den Keller.  | Foto: Ulrike Kiefert
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Sauna, Party, Sport: Mieter der Leipziger Straße nutzen ihre Kellerräume auch fürs Private. 38 Jahre lang störte sich niemand daran. Doch jetzt soll das plötzlich nicht mehr möglich sein. Die WBM pocht auf den Brandschutz. „Damit geht ein Vorzeigeprojekt gemeinschaftlichen Wohnens verloren“, sagen die Mieter.

So richtig fassen können es Ilona Meusel und Dieter Sommer immer noch nicht. Mit ihrem Vorzeigebeispiel Berliner Mietkultur soll es jetzt vorbei sein. Kein Feiern mit Nachbarn mehr, kein gemeinschaftliches Schwitzen in der Sauna und auch kein Sport mehr. Der Keller in der Leipziger Straße 56, den Mieter der Nachbarhäuser mitnutzen, wird geschlossen. Dicht ist da unten jetzt schon alles. Fehlt noch das Ausräumen.

Dieter Sommer bekommt feuchte Augen, wenn er daran denkt. „Wir haben es geschafft, das alles erfolgreich über die Wende zu retten, und nun das.“ Sommer gehört wie Ilona Meusel zu den Erstmietern im Ostberliner Hochhaus an der Leipziger 56. Beide zogen 1976 ein. Sieben Jahre später, 1982, gründeten die Mieter den “Club 56“ und bekamen die Nutzungsgenehmigung für die Kellerräume. Den Clubraum, der anfangs als Tagungsraum gedacht war, entwarf damals sogar ein Architekt, erinnert sich Dieter Sommer und blättert im Fotoalbum. 1985 kam dann die Sauna auf Wunsch der Mieter. Mit Genehmigung der Ostberliner-Behörden, 50 000 Mark und vielen Stunden Arbeitseinsatz – auch im neuen Clubraum. Dort ging es dann richtig ab. Kabarett und Herrenballett, Silvesterparty und Frauentagsfeier, Weihnachten für die Rentner, Auftritte des hauseigenen Kinderchors, Empfang der Pioniere zum Nationalen Jugendfestival. Sogar der Berliner Rundfunk drehte dort die DDR-Alltagskultur. Im Haus von Ilona Meusel wohnte damals auch Manfred Matuschweski. Der Mittelstreckenläufer holt 1962 die erste Goldmedaille für die DDR-Leichtathleten. Seine Frau leitete die Sportgruppe der Mieter.

Von Kündigung überrascht

Nach der Wende änderte sich nicht wirklich viel an der Leipziger Straße. Die Mieter hielten zusammen, auch wenn viele wegzogen oder altersbedingt wegstarben. Und auch die Kellerräume durften alle offiziell weiternutzen. Für private Familienfeiern, Sport, Sauna, Beratungen der Mieterbeiräte oder für Gesprächsrunden mit der Vermieterin, Polizei und Feuerwehr. Bis die Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM) im September 2020 einen Brief rausschickte und den Mietern die Kellerräume zu Ende Oktober kündigte. „Dabei hatte man uns mit Beginn der Sanierung unserer Häuser vor etwa drei Jahren noch was ganz anderes versprochen“, sagt Mieterbeiratsvorsitzende Ilona Meusel.

Die überraschende plötzliche Wendung konnten die Mieter nicht nachvollziehen. Sie starteten eine Petition, nahmen sich einen Rechtsanwalt und erhoben schriftlich Einspruch. Zwölf Berliner Mieterbeiräte unterschrieben mit und forderten die WBM auf, „nochmals ihr Vorgehen zu hinterfragen und das ausgezeichnete Beispiel einer erhaltenswerten Mietkultur im Interesse der Mieter zu erhalten und zu pflegen“. Doch die WBM bleibt bei der Schließung. „Wir haben Ihnen in der Vergangenheit mehrfach und sehr ausführlich die Problemlage erläutert“, antwortete die WMB Mitte Mai dem Gesamtmieterbeirat. „Die aktuelle Nutzung der Kellerräume ist weder mit der geltenden Bauordnung noch mit den Brandschutzvorschriften vereinbar.“ Die aktuelle Nutzung stelle eine Gefahr für die Sicherheit aller Mieter dar.

Brandschutztechnische
Ertüchtigung zu teuer

Der Entscheidung voraus gingen eine Brandschutzbegehung und zwei Brandschutzgutachten. Darin empfehlen die Gutachter zwar die „Wiederherstellung des bauzeitlich genehmigten Zustandes von 1976 und die brandschutztechnische Ertüchtigung des Bestandes“. Nach dem Baurecht bedürfe die weitere Nutzung der Kellerräume als Aufenthaltsräume aber eines Genehmigungsprozesses, der höherere Anforderungen an das Gebäude stelle. Dazu gehört laut Gutachtern mindestens ein zweiter Rettungsweg ins Freie, neue Türen, verschiedene Brandabschnitte, eine ertüchtigte Kellerdecke und nachgerüstete Technik. Ohne diese Maßnahmen sei die aktuelle Nutzung der Kellerräume aus brandschutztechnischer Sicht bedenklich.

Dieter Sommer widerspricht. „Der Keller hat bereits drei Fluchtwege und seit 2010 auch 34 neue Brandschutztüren. Die sichern die einzelnen Kellerabschnitte.“ Auch die Elektroleitung sei im vorigen Februar erneuert worden. In einem vierseitigen Papier hat er das alles aufgelistet. Was Dieter Sommer auch nicht versteht: „Wenn die Nutzung des Kellers eine Gefahr für alle Mieter im Haus ist, warum saniert die WBM ihn dann nicht?“

WBM-Sprecher Christoph Lang gibt die Antwort. „Eine brandschutztechnische Ertüchtigung der Kellerräume würde eine sechsstellige Summe als Investition erfordern. Dazu kämen Wartungs- und Folgekosten.“ Eine solche Summe für die private Freizeitnutzung einiger Mieter zu investieren, halte die WBM gegenüber allen anderen Mietern für nicht vertretbar. „Unser Unternehmenszweck ist, preiswerten Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Als kommunales Unternehmen unterliegen wir zudem einer besonderen Sorgfaltspflicht bei der Verwendung und Reinvestition unserer über die Mieteinnahmen von allen Mietern erwirtschafteten Mittel.“ Das sei dem Mieterbeirat auch bereits mitgeteilt worden. „Wir verstehen, dass die bisherige Nutzung dieser Kellerräume für die betroffenen Mieter eine Annehmlichkeit darstellte. Aber sie ist leider nicht mehr möglich“, sagt Lang. Für das ehrenamtliche Engagement der Mieterbeiräte stelle die WBM selbstverständlich unentgeltlich Räume zur Verfügung. „Alternative Räume für Sport und Freizeit gibt es leider in unserem Objekt nicht.“

Ilona Meusel ist Erstmieterin im Hochhaus an der Leipziger Straße. Jetzt kämpft sie als Mieterbeiratsvorsitzende für den Keller.  | Foto: Ulrike Kiefert
Den Veranstaltungsraum richteten die Mieter im Keller selber her.  | Foto: Ulrike Kiefert
Autor:

Ulrike Kiefert aus Mitte

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