Ein Puzzle deutscher Geschichte
Originale Gipsmodelle der Quadriga werden derzeit rekonstruiert
Drei Gipskunstformer der Staatlichen Museen rekonstruieren in den kommenden zwei Jahren im Mauer-Mahnmal des Deutschen Bundestags die überlebensgroßen Modelle von Schadows Quadriga. Besucher können den Experten in der offenen Schauwerkstatt im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus bei der Arbeit zuschauen.
„Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich mal die Quadriga rekonstruieren darf“, sagt Timo Klöppel. Seit Ende Oktober restauriert der in Berlin geborene Bildhauer und Gipskunstformer gemeinsam mit seinen Kollegen Sandro Dimichele und Fabian Burg die erhaltenen Gipsmodelle und versucht, diese zusammenzusetzen. In zwei Jahren soll die Gips-Quadriga vor den originalen Mauerteilen im Mahnmal des Bundestages stehen. Ein einzigartiges Projekt. Denn die Gipsmodelle von Berlins berühmtestem Bildwerk waren noch nie zusammengesetzt.
Für den Job, den das Team von Werkstattleiter Stefan Kramer macht, braucht man Geduld und Ausdauer. Ein „3D-Puzzle Berliner Geschichte“ nennt es Timo Klöppel. Allein die Siegesgöttin Victoria besteht aus 15 Teilen, jedes der vier Pferde aus etwa zehn. Dazu kommen Hunderte Bruchstücke, die von den einzelnen Modellteilen beim Transport und bei der jahrzehntelangen Lagerung abgebröselt sind. Außerdem hatte die Bildgießerei Noack die Modelle teils zerschnitten, als sie in den Jahren 1957und 1958 mithilfe der Gipsmodelle die Kupfer-Quadriga hergestellt hat, die heute auf dem Brandenburger Tor steht.
Original im Zweiten Weltkrieg zerstört
Das Original von Johann Gottfried Schadow aus dem Jahre 1793 wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört und die Reste im Auftrag des Ostberliner Magistrats eingeschmolzen. Lediglich ein Original-Pferdekopf aus Kupfer ist übrig geblieben, heute zu sehen im Märkischen Museum. Die Rekonstruktion der Schadow-Quadriga war 1957 nur möglich, weil 1942 sogenannte Schutzabformungen der Quadriga angefertigt wurden. Aus diesen Negativen hat die Gipsformerei 1957 die Gipsmodelle erstellt, die Grundlage für die Kupfertreibarbeiten waren. Die Gipsmodelle sind also näher am ursprünglichen Werk von Schadow aus dem Jahre 1793 als die heutige Version der Quadriga auf dem Brandenburger Tor. Denn die originalen Abformungen von 1942 gibt es nicht mehr. In den Gipsmodellen aus dem Jahre 1957 „ist ganz viel von Schadow drin“, erklärt Stefan Kramer.
Die Gipsmodelle lagen jahrzehntelang in den Katakomben unterm Kreuzbergdenkmal im Victoriapark und im Depot des Landesdenkmalamtes in Friedrichsfelde. Drei Pferdebeine, der Oberkörper der Victoria und zwei Pferdeköpfe der Gipsmodelle wurden bereits in den 1980er-Jahren für eine Ausstellung im Martin-Gropius-Bau aufgearbeitet. So geschniegelt und lackiert wie diese Einzelteile soll am Ende die gesamte Quadriga im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus aussehen. Die Gipskunstformer setzen das zusammen, was noch vorhanden ist. Auf 55 Paletten liegen die Abgüsse. Die Flügel der Victoria sind zum Beispiel komplett zerbrochen. Was fehlt, wird nicht nachgebaut. Ein Huf ist unter anderem weg; was alles noch, wird sich zeigen. Der Triumphwagen und die Standarte wurden 1942 erst gar nicht abgeformt. Noack hat 1957 den Wagen nach Fotos rekonstruiert. Die Trophäen wurden seinerzeit von Bildhauer Otto Schnitzer neu gestaltet.
Quadriga ohne Standarte
Weil es von der Standarte mit Preußenadler keine Gipsmodelle gibt, wird die rechte Hand der Victoria auf der Gips-Quadriga im Bundestag leer bleiben. Statt auf einem Streitwagen wird sie auf einer Ersatzkonstruktion stehen. Mit Standarte hätte die Siegesgöttin auch gar nicht in das Mauer-Mahnmal gepasst. Die Quadriga hat ohne Standarte eine Höhe von 5,50 Metern.
Das einzigartige Projekt ist eine Kooperation des Deutschen Bundestages, der Gipsformerei der Staatlichen Museen und des Landesdenkmalamts. „Das Brandenburger Tor mit der Quadriga war einst das Symbol der Teilung, aber zugleich auch das Symbol des Strebens nach Einheit – und ist jetzt zum Symbol der Freiheit in der ganzen Welt geworden. Daher ist es dem Kunstbeirat des Deutschen Bundestages ein Herzensanliegen, dass die für den Erhalt der Quadriga so bedeutsamen wie historisch aufschlussreichen Gipsabgüsse nunmehr gesichert und restauriert werden“, sagt Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU), der zugleich Vorsitzender des Kunstbeirats des Bundestages ist.
Die Schauwerkstatt im Mauer-Mahnmal des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses (Schiffbauerdamm, Eingang an der Spree) hat normalerweise dienstags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr geöffnet, derzeit ist sie wegen Corona jedoch geschlossen. In den Räumen wird auch eine Ausstellung mit historischen Aufnahmen zur Geschichte der Quadriga präsentiert. Der Eintritt ist frei. Weitere Infos unter www.bundestag.de/mauermahnmal.
Autor:Dirk Jericho aus Mitte |
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