Kreuze, Türme, Wasserjungfern
Stadtspaziergang zwischen Neptunbrunnen und Rotem Rathaus
Zu meinem 208. monatlichen Spaziergang lade ich Sie an das Rathausforum ein. Mindestens sieben Zeitschichten der Stadt liegen dort übereinander.
So fanden sich vor wenigen Jahren unter dem Rasen in freigelegten Ruinen-Kellern Artefakte, die Kunstexperten als expressionistische Porträtplastik der 20er-Jahre erkannten. Der U-Bahnhof Rotes Rathaus musste beim Bau um etliche Meter verschoben werden, da Archäologen auf Fundamente des mittelalterlichen Rathauses gestoßen waren. Schon beim Rathausbau 1860 waren die sorgsam verschont worden.
Am Marienkirchportal, auf Uralt-Bodenniveau der Stadt, steht ein verwittertes weißes Kalksteinkreuz. Es ist vor 700 Jahren als Sühnekreuz an dem Ort an der heutigen Spandauer Straße aufgestellt worden, an dem der Propst Nikolaus von Bernau ermordet wurde. Der von den Berlinern erschlagene und dann verbrannte Propst war wie viele andere Priester und sogar der Papst ein Parteigänger des sächsischen Herzogs Rudolf, der die Mark bis 1323 regierte, als die Leute schon einem neuen Markgrafen aus Bayern zujubelten. So geriet die Stadt unter päpstlichen Bann. Das Kreuz kam erst vor 300 Jahren zur Marienkirche.
Seitdem sind fast alle neustädtische Häuser aller Zeiten abgerissen worden. Selbst die Königskolonnaden und auch viele Bauten des frühen 19. Jahrhundert fielen in bauwütiger Gründerzeit, als Berlin Weltstadt werden wollte. Den Rest besorgten Verkehrsplanung, Nazizeit und Kriegszerstörung sowie die Neugestaltung des Stadtzentrums seit den 50er-Jahren. Fort mit den Trümmern und was Neues hingebaut, reimte damals Brecht. Die Bronzen der Aufbauhelferin und des Aufbauhelfers stehen seitdem am wiederaufgebauten Roten Rathaus.
Ab 1969 machte hoch oben, völlig ungeplant, ein ganz anderes Kreuz Furore: Im Sonnenschein leuchtet auf Nirostastahl-Pyramiden der Fensehturmkugel ein Lichtkreuz, das dem 368 Meter hohen Turm den heimlichen Spottnamen St. Walter einbrachte. Ulbricht, maßgeblicher oberster Bauherr, war bekennender Atheist. Lokale Zeitungen erfanden ganz schnell den Namen Telespargel – nach dem Saisongemüse. Erst als der neue Eigner Telekom die Kugel zum Sommermärchen 2006 als Riesenfußball in Magentafarben ausstattete, galt ein möglicher Abriss des DDR-Prestigebaus als abgewendet. Schon zu Beginn leuchtete die silberne Kugel über der ganzen Stadt - als Ziel sämtlicher Radialen, die auf Berlins Mitte zulaufen.
Die Vorgänger des Fernsehturms
Nur aus der Nähe eindrucksvoll ist da der Stumpf des ersten Berliner Fernsehturms Großer Müggelberg. Flugsicherungsgründe stoppten den Bau schon 1955 bei etwa 30 Meter Höhe. Als direktes Vorbild der Riesenkugel am Bahnhof Alexanderplatz gilt Architekt Henselmanns peitschenmastartiger 90-Meter-Obelisk „Turm der Signale“ für die Spreeinsel. Ihn sollte eine pulsierend rubinrot angeleuchtete Sputnik-Kugel krönen. Der Entwurf wurde nie gebaut.
Die Marienkirche, um 1270 begonnen, war Pfarrkirche der ersten Berliner Neustadt, die 20 Jahre vorher rings um den Neustädtischen Markt entstand. Es ist nicht nur das wichtigste mittelalterliche Bauwerk der Kernstadt, das fast gänzlich im Original erhalten ist. Unzerstört und seit den 60er-Jahren in privilegiert-freistehender Lage, wurde es damals restauriert. Wussten Sie, dass die Marienkirche als einziger der vier verbliebenen gotischen Sakralbauten Alt-Berlins die Bestimmung als Gotteshaus immer behielt?
Geht man durch das gotische Hauptportal in die Kirche, ist es wie ein langer Weg durch die Geschichte, von vielen Kunstwerken gesäumt. So der berühmten Totentanz, ein 22 Meter langes und zwei Meter hohes Hauptwerk Berliner Malerei im späten 15. Jahrhundert, gesäumt von Texten in niederdeutscher Sprache. Das Hochdeutsche von Martin Luthers Bibelübersetzung herrscht im Kurfürstentum Brandenburg erst nach Übernahme der Reformation. Zum 500. Jahrestag dieses Ereignisses im Oktober 1989 kam das restaurierte Standbild Luthers von 1899 zurück ins Rathausforum, in die Nähe der Kirche.
In den 80er-Jahren entstand zur Spree das Marx-Engels-Forum mit den Figuren der beiden Denker. Der Neptunbrunnen war das Geschenk der Stadt Berlin zur Krönung Wilhelms II. im Jahre 1888 und kam 1891 auf den alten Schloßplatz vor Portal II. 1942 wurde er eingemauert, überstand den Krieg, ist mit dem Abriss des Schlosses zerlegt, eingelagert und vor 64 Jahren 1969 im Rathausforum wieder aufgebaut worden. Bildhauer Reinhold Begas hatte sich schon seit den 1870er-Jahren mit dem Thema des Vierströme-Brunnens befasst. Seiner ist viel größer als jener 1877 eingeweihte spätklassizistische Wrangelbrunnen, den der Generalfeldmarschall Wrangel noch für den Pariser Platz bestellt hatte, der dann aber zum Kemperplatz kam und auf Wunsch des Kaisers vor 121 Jahren an die Kreuzberger Urbanstraße versetzt worden ist. Begas kräftige Jungfrauen sitzen im Stile des Neubarocks splitternackt auf dem steinernen Brunnenrand, wo sie fröhlich unter dem übermächtigen römischen Gott aller Wasser die vier preußischen Ströme ehren und sich von begeisterten Bewunderern gerne anfassen lassen.
Der Spaziergang beginnt am Sonnabend, 29. April, um 11 Uhr. Treffpunkt ist der Neptunbrunnen, zu erreichen mit der U5 bis Rotes Rathaus. Die Tour wiederhole ich am Sonnabend, 6. Mai, um 14 Uhr. Die Teilnahme kostet dann neun, ermäßigt sieben Euro, Anmeldung dafür unter Tel. 442 32 31.
Die Führung ist für Leser der Berliner Woche und des Spandauer Volksblatts kostenlos. Allerdings ist eine Anmeldung erforderlich: Am Montag, 24. April, in der Zeit von 10 bis 12 Uhr anrufen unter Tel. 887 27 73 02.
Autor:Bernd S. Meyer aus Mitte |
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