Von der Klapperschlange bis zum Kutschpferd
Ulrich Lindemann rettet seit 34 Jahren (Haus-)Tiere in Not
Auf dem Lande kümmern sich amtliche Tierärzte vor allem ums Großvieh. In der Stadt ist der Job nicht weniger anspruchsvoll. Ulrich Lindemann hat in Mitte fast täglich mit Tieren in Not und ihren Besitzern zu tun. Manche Fälle gehen selbst ihm an die Nieren.
Gummistiefel für den Kuhstall braucht Ulrich Lindemann nicht. Aber starke Nerven und ein dickes Fell. In 34 Berufsjahren hat der amtliche Tierarzt schon viel erlebt. Kuriose Fälle, traurige Fälle, Glücksmomente. Mit Hunden, Katzen, Kaninchen, Schlangen, Fischen, Vögeln, Skorpionen und allem, was sich die Berliner noch so alles an tierischen Mitbewohnern halten.
Ulrich Lindemann ist fast täglich draußen, kümmert sich um Tiere in Not, geht Hinweisen und Polizeianzeigen nach. „Es vergeht keine Woche, in der wir nicht Hausbesuche machen müssen.“ Knapp 400 waren es im vorigen Jahr. Besonders tragisch sind für den Tierarzt Fälle, wo Haustiere ärztlich nicht versorgt werden und unter Qualen dahinvegetieren. Oder nicht artgerecht gehalten werden. Lindemann erinnert sich an 13 ausgewachsene Klapperschlangen, die in einer Weddinger Wohnung gefunden wurden. Allesamt in einem äußerst schlechten Zustand. Das größte Exemplar war etwa eineinhalb Meter lang und klapperte in der Box des Tierfängers durchs ganze Haus. Eine kleinere Schlange war bereits tot. Lindemann hat sie im Glas auf seinem Bürotisch zu stehen. Eingelegt in Alkohol. Der Doktor ist zwar kein Schlangenfan. „Aber sie erinnert mich an diesen Fall.“
Anderes dagegen würde er lieber vergessen. Wie den grausigen Fund dutzender geköpfter Ratten. „Die Schlachtbank stand mitten in der Wohnung.“ Ulrich Lindemann schüttelt es noch heute, wenn er daran denkt. Manche Haustiere können Menschen echt gefährlich werden. Wie die Würgeschlange, die ihr Terrarium sprengte und durch ein Loch im Fußboden in die untere Wohnung entwischte. Die entsetzte Nachbarin fand die Boa Constrictor in ihrem Bett. „Zum Glück ist ihr nichts passiert“, sagt Lindemann. Die Schlange bekam der Halter trotzdem nicht zurück. Die Haltung gefährlicher Tiere wildlebender Arten ist bis auf wenige Ausnahmen verboten. Den ausgerissenen Würger nahm eine professionelle Reptilienstation in München in Pflege.
Tierschutz im Zoo
Seit 1988 arbeitet Ulrich Lindemann bei der Veterinäraufsicht. Er ist einer von vier amtlichen Tierärzten im Bezirksamt Mitte. Den Berlinern dürfte Lindemann nicht ganz unbekannt sein. Er war schon im Fernsehen zu sehen. Nicht in „Der Doktor und das liebe Vieh“, sondern in der Doku „Unterwegs mit der Tierpatrouille“ vom RBB. Vor der Kamera zu stehen, ist aber nur ein „Nebenjob“. Im Berufsalltag hat er viel wichtigere Aufgaben. Allen voran den Tierschutz, aber auch Tierseuchen wie das West-Nil-Fieber und die Gefahrenabwehr. Und das nicht nur bei Haustieren. Ulrich Lindemann hat auch mit Löwen, Elefanten, Affen und Co. zu tun. Im Berliner Zoo kontrollieren er und seine Kollegen genauso regelmäßig, ob der Tierschutz garantiert ist. Und sie sind vor Ort bei Tiertransporten dabei. Denn da gibt es einiges zu beachten. Lindemann hält darüber Vorlesungen an der Freien Universität.
Als amtlicher Tierarzt achtet er auch auf Tiere, die gewerblich zur Schau gestellt werden. Wie Schafe, Kaninchen, Zirkustiere oder Pferde. Kutschpferde, um genau zu sein, die Touristen zum Brandenburger Tor kutschieren. Das ist nicht verboten, aber Lindemann ist kein Freund davon. Denn: „Wir ahnden hier permanent Verstöße.“ Traben ohne Pausen und bei über 30 Grad Celisius zum Beispiel. Das Bußgeld für solche Fehltritte ist mittlerweile vierstellig. Die strengen Kontrollen, gerichtlichen Auseinandersetzungen und die Bußgelder haben inzwischen dazu geführt, dass die Fahrkutschbetriebe ihre Fahrten bis auf Weiteres eingestellt haben. Sie ganz aus dem Verkehr zu ziehen ginge nur, wenn das Tierschutzgesetz entsprechend geändert wird, sagt Lindemann. Ein Problem ist auch der illegale Welpenhandel in der Stadt. Trächtige Hündinnen werden aus Bulgarien oder Rumänien in die Hauptstadt gebracht und ihre Welpen anschließend am Hauptbahnhof zum Verkauf angeboten. Mehrere solcher Hunde beschlagnahmten Lindemann und sein Team zuletzt im Oktober. Eine Sisyphusarbeit. „Die Verkäufer kriegen wir nur selten.“
"Ohne Leidenschaft geht es
in diesem Beruf nicht“
Alle Tiere, die die amtlichen Tierärzte konfiszieren, kommen in die zentrale Tiersammelstelle Lichtenberg. Dort werden sie aufgepäppelt und weitervermittelt. Für Ulrich Lindemann ist es jedes Mal eine Freude, ein Tier aus der Not gerettet zu haben. Oder wenn er dafür sorgen konnte, dass es künftig von Herrchen oder Frauchen besser behandelt wird. Dann macht er seinen Rund-um-die-Uhr-Job besonders gern. „Ohne Leidenschaft geht es in diesem Beruf nicht“, sagt der Tierarzt. „Das ist das Wichtigste, sonst sollte man es lassen.“
Das Veterinäramt lädt auch zu tierärztlichen Sprechstunden ein. Dort können die Berliner zum Beispiel Listenhunde anmelden, Tierbisse beurteilen lassen oder Reiseatteste für ihre Haustiere bekommen. Angehende Tierärzte bildet das Amt ebenfalls aus. Bis zu 20 im Jahr. Das macht nicht jeder Bezirk. Seine ehemaligen Studenten hat Ulrich Lindemann abgelichtet an der Bürotür zu hängen. Die Portraits erinnern ihn an seinen ersten Tag als amtlicher Tierarzt.
Autor:Ulrike Kiefert aus Mitte |
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