"So was erwartet niemand"
Im Spreeacker gedeihen über hundert essbare Pflanzen mitten in der Stadt
Der Spreeacker ist ein kleines Paradies. Schwarznuss, Kornelkirsche, Feigen und Holunder gedeihen hier. Kräuter, Beeren und essbare Blüten. Stadtbewohner haben den essbaren Garten vor mehr als zehn Jahren angelegt. "Zum Glück", sagt Michael LaFond. "Heute ginge das nicht mehr."
Saftiges Grün blitzt am Ende des Fußwegs auf. Es duftet nach Salbei und Holunder. Die schlanken Obstbäume sind energisch gewachsen, die Bornholm-Feige auch. Michael LaFond ist zufrieden. „Einige Feigen werden wir dieses Jahr essen können.“ Erste Früchte trägt auch die Ölweide. „Die sehen wie Oliven aus und schmecken etwas säuerlich.“ Bis zur Ernte dauert es aber noch, auch für die Äpfel, Kirschen, Quitten und Birnen ist es zu früh. Salbei und Petersilie hat Michael LaFond dagegen schon bündelweise weggetragen.
Michael LaFond sitzt im Vorstand des Vereins Spreeacker. Der hat sich 2014 aus mehreren Initiativen und engagierten Nachbarn gegründet. Den Spreeacker selbst gibt es schon seit zwölf Jahren. Er liegt am Ende des mit Wohnhäusern bebauten Wilhelmine-Gemberg-Wegs direkt an der Spree. Anwohner wie Michael LaFond, der vor rund 30 Jahren aus den USA nach Berlin kam, hatten die Idee, auf dem damaligen öden Fabrikgelände einen Nutzgarten anzulegen. Ihre Vision: eine essbare und produktive Landschaft zwischen Michaelbrücke und Schillingbrücke mitten in Berlin. Doch der Boden gab das nicht her, „hier lag überall Bauschutt herum“, erinnert sich Michael LaFond. Weil das für den Garten angedachte Grundstück jedoch im Fördergebiet Luisenstadt liegt, sprang das Bezirksamt Mitte ein. Das ließ metertief den Boden austauschen und spendete die ersten Obstbäume. „Das hätten wir allein nicht bezahlen können.“
Angefangen mit rund 500 Quadratmetern ist der Spreeacker heute fast 2000 Quadratmeter groß. Er zieht sich den Paula-Thiede-Uferweg entlang und hat inzwischen auch einen Waldgarten mit Wildobstgehölzen und essbaren Stauden. „Oft heißt es ja, in der Stadt gäbe es keine Natur. Dass das nicht stimmt, zeigt unser Projekt.“ Über 100 verschiedene essbare Pflanzen gedeihen im Spreeacker. Kräuter wie Beinwell, Pfeffer, Rosmarin, Mispel, Petersilie, rot-schwarzer Lorbeer oder Liebstöckel, dessen Samen ziemlich intensiv schmecken. Dazwischen reifen Brombeeren, Himbeeren, Erdbeeren, Stachelbeeren und Johannisbeeren. „Bei den Obstbäumen haben wir uns für sehr alte Sorten entschieden“, sagt Michael LaFond. „Die sind robuster und brauchen nicht so viel Wasser.“ Wie die Schwarznuss, Maulbeere, Kornelkirsche, Pflaume und der Klapperapfel. Schmackhaft ist auch der Sanddorn. „Aus dem machen wir Marmelade“, sagt Ulla, die gerade vorbeikommt und einen prüfenden Blick auf die Beeren wirft. „Das reicht für fünf bis zehn Gläser.“
Ernten kann im Spreeacker eigentlich jeder. „Die meisten nehmen den essbaren Garten aber gar nicht wahr“, sagt Michael LaFond. „So was erwartet einfach niemand in der Stadt.“ Das kann man auch Glück nennen, denn so wird der Garten nicht kahlgeerntet.
Michael LaFond ist fast täglich hier, wässert, rupft Unkraut, lockert den Boden. Er liebt das Gärtnern, und die Idee einer essbaren Stadt, in der sich die Bewohner selbst versorgen und gleichzeitig die Natur schützen, fand er schon immer interessant. „Vor 150 Jahren war das hier alles Feld und Acker“, erzählt der Anwohner. „Was hier wuchs, durfte jeder in der Stadt ernten. Mit der Industrialisierung ist das alles verschwunden.“ Jetzt ändere sich das langsam wieder. Immer mehr Berliner ohne eigenen Garten bauen in der Stadt Gemüse, Obst, Kräuter oder essbare Blüten an. In klassischen Beeten oder Hochbeeten, auf Balkonen und sogar auf Dächern. Für Michael LaFond ist das keine Spielerei. „Es kommen Ernährungskrisen auf uns zu, es ist also sinnvoll, dass wir etwas tun.“ Darum erarbeitet der Verein auch über den Spreeacker hinaus Ideen für eine nachhaltige und kooperative Stadtentwicklung – zusammen mit Nachbarinitiativen wie der Spreefeld-Genossenschaft, dem Bürgerverein Nördliche Luisenstadt und dem Teepee Land. Lokalthemen sind der befestigte Uferweg, an dem das Bezirksamt schon baut, oder der Erhalt des denkmalgeschützten Bootshauses.
Inzwischen ist es später Nachmittag. Über dem Spreeacker weht ein laues Lüftchen, und Michael LaFond ist bald fertig für heute. Gerade steht er kniehoch in Brennesseln. „Die Blätter kannst du einkochen, pürieren, ein bisschen Knoblauch und Olivenöl dazu, fertig ist das Pesto.“ Ein Rezept hat er auch für das Colakraut parat. „Zehn Minuten in Wasser einlegen, und es schmeckt tatsächlich nach Cola.“ Dann wird sein Blick nachdenklich. „Die Stadt wird immer voller und teurer, wir hatten vor zehn Jahren wirklich Glück mit diesem Gründstück.“ Michael LaFond streift die Handschuhe ab. „Mal sehen, wie lange wir hier noch 'spielen' dürfen.“
Autor:Ulrike Kiefert aus Mitte |
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