"Das hat nichts mit einem Selfie zu tun"
Wie ein Kunstprojekt am Albert-Schweitzer-Gymnasium schiefging – und etwas Neues entstand
Sie haben sich in Fotografien, die in den 1920er-Jahren entstanden sind, vertieft und ins Heute geholt. Nun wollen die Elftklässler des Albert-Schweitzer-Gymnasiums ihre Werke im U-Bahnhof Hermannplatz ausstellen.
August Sander (1876-1964) ist ein ganz Großer, wenn es um Porträtfotografie geht. Er arbeitete hauptsächlich in Köln und machte Bilder von Menschen unterschiedlicher Schichten und Berufsgruppen – vom Studenten bis zum Bäcker, von der Wäscherin bis zur Schauspielerin. „Menschen des 20. Jahrhunderts“ nannte er seine Sammlung. Die Schwarzweißaufnahmen wurden zum Ausgangspunkt für ein Projekt, das sich Kunstlehrerin Kathrin Hammelstein mit ihrem 16-köpfigen Kurs ausdachte. Die Idee: Die Schüler beobachten Menschen auf dem Hermannplatz, wenige Schritte von ihrem Gymnasium entfernt. Was haben sie an, wie bewegen sie sich, wie sehen sie aus? Was machen sie wohl beruflich? Welche Wünsche könnten sie haben? Im zweiten Schritt gehen die Jugendlichen auf die Passanten zu, um zu überprüfen, ob ihre Vermutungen stimmen, und befragen sie. Am Ende sollten Porträts entstehen, die dann Sander-Fotos hätten gegenübergestellt werden könnten.
Allein, es hat nicht geklappt. „Die Hemmungen waren groß. Die Leute wollten nicht über sich sprechen, das lag vielleicht auch am Zeitpunkt kurz nach dem ersten Lockdown“, meint Kathrin Hammelstein. Also machte sie ihren Schülern den Vorschlag, selbst Modell zu stehen. „Sie waren sofort Feuer und Flamme“, so die Lehrerin und studierte Künstlerin. Es bildeten sich Zweiergruppen. Einer recherchierte zu einem Bild von Sander und lichtete dann seinen Partner ab.
Manchmal ließen sich auch beide von einem Dritten fotografieren. Zuvor wurde genau überlegt, wie die Szene neu interpretiert werden könnte. Ein Beispiel: Hatte August Sander eine Waschfrau in grober Schürze neben Straßenpumpe, Gully und Zinkwannen aufgenommen, zeigt die moderne Version ein schick gekleidetes Mädchen, das im Waschsalon Waschmittel in die Maschine füllt. Fotografieren mit einer analogen Kamera kam für die Gymnasiasten nicht in Frage, sie wollten unbedingt ihre Handys nutzen. Das ging für Kathrin Hammelstein in Ordnung. Allerdings machte sie ihren Schülern klar, dass sie sich viel Zeit nehmen und die Szene sorgfältig komponieren müssten. „Das Ganze hatte nichts mit einem schnellen Selfie zu tun.“
Nun wünscht sich die Pädagogin, dass es mit einer kleinen Ausstellung klappt, die – in Anlehnung an Sanders wichtigstes Werk – „Schüler*innen des 21. Jahrhunderts“ heißt. Ins Auge dafür hat sie Vitrinen im U-Bahnhof Hermannplatz gefasst. Die Gespräche mit der BVG laufen. Weil für eine Schau jedoch ein wenig Geld gebraucht wird, hat der Kunstkurs auf www.startnext.com/schuelerinnen-21-jahrhundert eine Spendensammlung gestartet. Die Schüler hoffen, dass bis zum 27. Januar rund 350 Euro für Druck und Rahmung zusammenkommen. Lehrerin Kathrin Hammelstein musste den Jugendlichen für die Aktion Mut machen. Denn sie glauben nicht so recht daran, dass sich die Öffentlichkeit für ihre Arbeit interessiert. „Es wäre total wichtig für sie zu erleben, dass so etwas funktionieren kann, dass sie etwas in ihrer unmittelbaren Umgebung bewegen können“, sagt Kathrin Hammelstein.
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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