Die Mauer muss bleiben
Was aus dem spät entdeckten Teil der Grenzanlagen werden soll

Ein Teil der Ur-Mauer am Bahnhof Schönholz durch den Zaun fotografiert. | Foto: Thomas Frey
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  • Ein Teil der Ur-Mauer am Bahnhof Schönholz durch den Zaun fotografiert.
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Wer den Ort nicht kennt, findet ihn nur schwer. Er befindet sich in der Nähe des S-Bahnhofs Schönholz, aber nichts verweist darauf. Was es dort zu sehen gibt, ist durch Bäume und andere Pflanzen nahezu vollständig verdeckt und von einem Gitterzaun gesichert. Durch die Lücken ist eine Ziegelwand zu erkennen. Sie erregte vor dreieinhalb Jahren weltweites Aufsehen. Inzwischen liegt die Wand wieder im Dornröschenschlaf. So wie einst Jahrzehnte lang.

Bei der insgesamt etwa 80 Meter langen Wand handelt es sich um einen Rest der Berliner Mauer. Genauer gesagt der Berliner Ur-Mauer. Der Grenzwall, dessen Bau sich am 13. August zum 60. Mal jährt und der 28 Jahre die Stadt teilte, war im Lauf seiner Geschichte mehrfach erneuert, ausgebaut, mit weiteren Sperranlagen versehen worden. 1961 wurden zunächst auch Gebäude oder Gebäudeteile integriert, weil der Bau schnell gehen sollte und in der DDR außerdem Materialknappheit herrschte.

Die Wand gehörte einst zu Häusern
an der Schützenstraße

So passierte das auch am Bahnhof Schönholz. Die Wand gehörte einst zu Häusern am Ende der Schützentraße, die im Zweiten Weltkrieg bei einem Bombenangriff zerstört wurden. Später wurde sie als Teil der Berliner Mauer entbehrlich. 1988 kam das Relikt bei einem Gebietsaustausch vom Ost-Bezirk Pankow zum West-Bezirk Reinickendorf und geriet erst recht in Vergessenheit.

Das änderte sich erst im Januar 2018, als der Pankower Heimatforscher Christian Bormann (heute 40) die 80 Meter Ur-Mauer ans Licht der Öffentlichkeit brachte. Bereits knapp 20 Jahre zuvor sei er darauf aufmerksam geworden, erzählte Bormann damals. Er berichte jetzt darüber, weil er befürchte, die Wand würde verfallen, dann abgetragen und damit ein historisches Zeugnis verschwinden. Denn es handle sich um das wahrscheinlich letzte noch vorhandene Stück der Berliner Mauer aus ihren Anfängen.

Entdeckung des "deutschen Indiana Jones"

Bormanns Entdeckung wurde zu einer Sensation. Rund um den Globus habe es Berichte darüber gegeben, erinnert sich der Heimatforscher, dessen historische Erkenntnisse nicht nur zu diesem Bauwerk in seinem Blog "Pankowerchronik" nachzulesen sind. US-Medien nannten ihn den "deutschen Indiana Jones". Die Geschichte der Berliner Mauer schien auserzählt. Jetzt gab es etwas Neues.

Die Aufwallung, die es 2018 gegeben hat, steht im Gegensatz zur heutigen Situation vor Ort. Der aktuelle Zustand sei "natürlich nicht in meinem Sinn", sagt Christian Bormann. Er erklärt ihn mit Desinteresse. Auszumachen sei das, so meint er, auf verschiedenen Ebenen – vom Bezirk Reinickendorf über die Deutsche Bahn als Eigentümer der Fläche bis zur Landesebene.

Spitzfindigkeiten oder berechtigte Zweifel?

Bereits als seine Ur-Mauer weltweit gewürdigt wurde, gab es Einwände. Selbst beim Landesdenkmalamt bestanden zunächst Zweifel, ob hier wirklich ein Teil des Grenzwalls aufgetaucht ist. Und noch immer werde er mit Spitzfindigkeiten konfrontiert, erzählt Bormann. Etwa der Ansicht, der Abschnitt am Bahnhof Schönholz wäre nicht am 13. August 1961, sondern erst später in die Mauer eingepasst worden.

Immerhin, dass diese Mauer einmal zur Berliner Mauer gehörte, ist inzwischen geklärt. Die Ziegelwand steht unter Denkmalschutz. Aber das genüge nicht, vermerkt ihr Entdecker. Gäbe es keine Pflege, verfalle auch ein Denkmal und könne dann abgerissen werden.

Das besondere Bauwerk mit einem Zaun zu schützen, findet seine Zustimmung. Schon, damit nicht Teile herausgebrochen werden. Sich nur darauf zu beschränken, wäre aber ebenfalls zu wenig. Warum nicht mehr passiert, darüber könne er nur Vermutungen anstellen. Auf jeden Fall scheine es, als wolle man das Thema "aussitzen".

Platz für authentische Geschichtsvermittlung

Der Heimatforscher hat demgegenüber einige Ideen, was hier entstehen könnte. Schon lange kämpft er dafür, dass die Wand das europäische Kulturerbe-Siegel bekommt. Der Ort wie das gesamte Gebiet würde sich als Platz für authentische Geschichtsvermittlung eignen.

In ähnliche Richtung ging 2019/20 auch ein Erasmus-Projekt am Thomas-Mann-Gymnasium im Märkischen Viertel. Die Teilnehmer beschäftigten sich mit Formen des Mauergedenkens am besonderen Beispiel Bahnhof Schönholz. Das Projekt erregte auch deshalb Aufmerksamkeit, weil es von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) besucht wurde.

Auch Christian Bormann war involviert und sah seine Vorstellungen danach bestätigt. Als er mit den Schülern an der Ur-Mauer stand, hätten die einen ganz anderen Bezug zu diesem Bauwerk und seiner Vergangenheit entwickelt. Der sei bei weitem intensiver, als Erkenntnisse allein durch Schulbücher zu vermitteln.

Es sieht aber gerade nicht so aus, als würde die umrankte Wand demnächst ein Lernort oder irgendeine andere Funktion bekommen. Eher scheint es, als verschwinde sie gerade wieder aus dem Bewusstsein, nachdem sie einen kurzen Moment einen großen Auftritt hatte.

Er werde versuchen, das zu verhindern, sagt Christian Bormann. Allzu viel Zeit bleibe nicht mehr. Geschehe nichts, dann wäre die Ur-Mauer in wenigen Jahren nicht mehr zu retten.

Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

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