Vergnügen und Grauen
Der Berliner Sportpalast und seine Geschichte
Der Berliner Sportpalast an der Potsdamer Straße ist ein Mythos: ein Blick zurück auf die Veranstaltungshalle, die Berlin mit zu einer Weltstadt machte und heute verschwunden ist.
Der Palast, eines der Hauptwerke des Architekten Hermann Dernburg (1868-1935) war bei seiner Eröffnung im November 1910 allein schon wegen seiner Kunsteisbahn eine Sensation. Sie war die größte der Welt. Beim Eröffnungskonzert hatte der Komponist Richard Strauss den Stab in der Hand. Er dirigierte als Preußischer Hofkapellmeister Beethovens Neunte. Und so mancher Redner soll auf dem Weg zum Podium auf der spiegelglatten Fläche ausgerutscht sein.
Der Sportpalast war ein Pilgerort für Vergnügungssüchtige und ein Veranstaltungsort für Schreckliches. Das soll nicht unter den Tisch fallen: Goebbels Sportpalastrede am 18. Februar 1943 nach dem Fall Stalingrads. Angeblich war der Palast eine halbe Stunde vor Beginn „wegen Überfüllung gesperrt“, wie Hitlers hass- und wahnerfüllter Propagandaminister in seinem Tagebuch festhält. An der Stirnwand der Halle, hält Victor Klemperer in seinen Tagebüchern fest, habe nur ein einziges Spruchband gehangen: „Totaler Krieg – kürzester Krieg“.
Glanzvolle Zeiten erlebte der Sportpalast kurz nach seiner Eröffnung und in den Zwanzigern. 1911 feierte das Sechstagerennen Premiere. Während die Menge auf den billigen Plätzen zum Sportpalastwalzer tobte, ließen sich die vornehmen Herrschaften in den Logen zu ebener Erde Champagner servieren. Sehen und gesehen werden, lautete das Motto. Das Radrennen rangierte offenbar an zweiter Stelle. Dazu merkte der österreichische Schrifsteller Joseph Roth (1894-1939) an: „In diesem Augenblick haben die eifrigen Radfahrer schon mehr als dreizehnhundert Kilometer zurückgelegt, ohne irgendwohin gekommen zu sein. Sie wollen ja gar nicht irgendwohin gelangen! Sie kreisen immer auf derselben Bahn, die zweihundert Meter lang ist und zwei Millionen Meter langweilig.“
In der Weimarer Republik war der Sportpalast Weihestätte des in Mode gekommenen Boxsports. Zu Wettkämpfen strömten bis zu 10 000 Zuschauer in die Potsdamer Straße 172. Alle Altersgruppen, alle Klassen. Als Zuschauer wurden häufig die Tenöre Enrico Caruso und Richard Tauber, die Schauspieler Hans Albers und Fritz Kortner, der Maler Ernst Oppler und der „Stückeschreiber“ Bertolt Brecht gesichtet.
Einer der Wettkampfteilnehmer, der „schreckliche Türke“ Sabri Mahir, hatte ein Boxstudio nahe der Tauentzienstraße. Dort trainierte der türkische Boxweltmeister Prominente wie den Galeristen und Zeitschriftenherausgeber Alfred Flechtheim, den Maler George Grosz und die beiden genannten Schauspieler.
Und Frauen. Vicki Baum und Marlene Dietrich zum Beispiel. Die Schriftstellerin Vicki Baum („Menschen im Hotel“) erzählte, Mahir habe seine Kommandos geschrien und dabei mit den Füßen aufgestampft und geflucht. Er trieb die Damen ohne Rücksicht an. „In einem Punkt aber machte Sabri Mahir bei Frauen eine Ausnahme: kein Boxtraining im Ring, keine blauen Augen, keine blutenden Nasen. Für uns genügte die Arbeit am Punchingball, da lernten wir einen ziemlich gemeinen linken Geraden und eine rasche Schlagfolge.“
1973 wurde der nach Kriegszerstörung schlicht wiederaufgebaute Sportpalast abgerissen. An seiner Stelle steht heute das Wohnhaus Pallasseum. An der Stelle des Sportpalastes steht heute das Pallasseum.
Autor:Karen Noetzel aus Schöneberg |
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