Einst blühte an der Lützowstraße jüdisches Leben
Farblos liegt der Abschnitt der Lützowstraße da. Er wird in der Hauptsache von Zweckbauten gesäumt. Wer die Gedenktafeln übersieht, den erinnert nichts mehr daran, dass dort einmal jüdisches Leben blühte.
Wo heute ein Umspannwerk steht, befand sich einst eine Gemeindesynagoge. Das Gebäude in der Lützowstraße 16 war eines der größten und schönsten in Berlin. Annähernd 2000 Menschen hatten darin Platz. Es war eine „Hinterhofsynagoge“. Typisch für die Zeit standen an der Straße Wohn- und Schulgebäude der Gemeinde. Gebetet wurde nach liberalem Ritus, das heißt, die Synagoge besaß eine Orgel. Davon noch später.
Errichtet wurde die erste Gemeindesynagoge im Berliner Westen 1896 bis 1898 nach Plänen des damals angesehenen, auf solche Bauwerke spezialisierten Architekturbüros von Wilhelm Cremer (1845-1919) und Richard Wolffenstein (1846-1919). Das Büro „Cremer & Wolffenstein“ bevorzugte für seine Architektur einfache, quadratische und würfelförmige Strukturen im Stil der Neoromanik oder des Historismus und nach dem Vorbild christlicher Kirchen, so auch bei der Gemeindesynagoge an der Lützowstraße aus roten Backsteinen.
Die jüdische Gemeinde hatte einen Teil des Grundstücks 1895/1896 vom Kaufmann Julius Oppenheim erhalten. Oppenheim besaß weitere Grundstücke an der Ecke Potsdamer Straße. Die jüdische Gemeinde riss die vorhandenen Mietshäuser ab und baute ihr Synagogenzentrum. In den 20er-Jahren mietete die Gemeinde noch einen Saal in der Lützowstraße 76 an. Er gehörte zu den Klavierfabriken Blüthner und Feurich. Bedeutende Rabbiner predigten in der Gemeindesynagoge, so Samson Weisse (1857-1946). Er war zugleich Leiter der „III. Religionsschule“ der jüdischen Gemeinde in der Lützowstraße 16.
Einen Höhepunkt jüdischer Sakralmusik in Berlin erlebte die Synagoge am 16. September 1932 mit der Uraufführung der „Freitagabend-Liturgie“ von Heinrich Schalit (1886-1976) für Kantor – es sang der Chasan der Gemeinde, der 1942 im KZ Sachsenhausen ermordete Johannes Jacobsohn alias Hanns John –, für einstimmigen und gemischten Chor und Orgel. Die Komposition gilt als Schalits Hauptwerk. An der Orgel spielte der junge Max Janowksi, der Deutschland 1937 verlassen konnte.
Weil das Synagogenzentrum eng zwischen anderen Bauten stand, wurde es während der Pogrome 1938 „nur“ beschädigt. Das Übrige erledigten später Bomben bei den Angriffen der Alliierten auf Berlin. Vorher aber war auch diese Synagoge Sammelstelle für Juden vor ihrer Deportation. Die Ruine der Synagoge wurde 1954 abgerissen.
Weiter östlich, in der Lützowstraße 111, befand sich seit 1905 in einer Wohnung der Wertheims eine kleine Synagoge sephardischer Juden. Auch sie ist verschwunden. Sie zierte eine Stuckdecke und Säulen. Sie hatte Platz für 40 Gläubige.
Die Mitglieder der Gemeinde waren osmanische und türkische Juden. „Die Namensliste der Gründungsmitglieder liest sich wie das Branchenbuch des Orienthandels“, heißt es in „Pardes“, der Zeitschrift der Vereinigung für jüdische Studien. Gepredigt wurde auf Ladino, dem „Judenspanisch“. Die Vorfahren der Sephardim waren im 13. Jahrhundert vor der Inquisition aus Spanien und Portugal in die Türkei geflohen. Nach Berlin kamen sie seit dem 17. Jahrhundert.
Ende der 20er-Jahre hatte der Israelitisch-Sephardische Verein in Tiergarten 500 Mitglieder. Es war die größte sephardische Gemeinde in Deutschland. Im Nationalsozialismus waren die Sepharden solange vor Verfolgung einigermaßen geschützt, bis die Türkei damit begann, ihnen die türkische Staatsbürgerschaft zu entziehen. Am 25. Januar 1943 wurde Rabbiner Eli J. Uziel deportiert und ermordet. Vom Schicksal der übrigen Gemeindemitglieder des Israelitisch-Sephardischen Vereins ist so gut wie nichts bekannt.
Autor:Karen Noetzel aus Schöneberg |
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