Amazon im Kleinen: Kommt das „Webkiezkaufhaus“ am Rüdi?
Wilmersdorf. Kinderkleidung und vegane Hundekekse, Fotografie und Glaswaren – rund um den Rüdesheimer Platz bieten Händler alles an, was man zum Leben braucht. Mit einer neuen Standortgemeinschaft rüsten sie sich für den digitalen Wandel. Erste Vision: ein Online-Kaufhaus für den Kiez.
Im Schatten der Siegfriedstatue gibt es sie noch: die kleinen Damenschuhgeschäfte, die Schreibwarenläden und Weinstuben. Am Rüdi gibt man Geld immer noch eher an der nächsten Straßenecke aus als in Webshops. Die Liebe zum Kiez drückt sich darin aus, dass man hier kauft.
Händler vereint
Weil aber auch im Rheingauviertel und angrenzenden Gegenden in Schmargendorf die Digitalisierung unerbittlich voranschreitet, bündeln die Händler nun ihre Kräfte und schmieden gemeinsame Pläne – in der neu gebildeten Standortgemeinschaft „Unternehmen am Rüdesheimer Platz und Umgebung“. Erste Früchte trug der Zusammenschluss zur Weihnachtszeit in der analogen Welt, als Tanja Fügener vom gleichnamigen Fotostudio und Desiree Gianella vom Kindermodengeschäft „Grashüpfer“ den „lebendigen Adventskalender“ ins Leben riefen. Reihum öffnete sich in den Kiezläden jeden Abend ein anderes Türchen für eine publikumsträchtige Zusammenkunft. „Es waren nonstop Kinder da“, freut sich Gianella über den Erfolg. Eine Nachfolgeaktion zu Ostern ist deshalb schon in der Mache.
Und was gibt es online Neues? Bei einem Standortgespräch des Schmargendorfer Sport- und Gesundheitsparks mit der Wirtschaftsförderung und Bürgermeister Reinhard Naumann (SPD) hörten die Händler nun, wie sie ganz sie selbst bleiben können, ohne den Wandel zu verschlafen. Der Geschäftsmann Rainer Frohloff eröffnete ihnen die Vision eines Onlineversandhauses auf Kiezebene. Das so genannte „Webkiezkaufhaus“ – eine Art Amazon im Kleinen. Das Prinzip des virtuellen Shoppingcenters: Eine Standortgemeinschaft gibt eine gemeinsame Webpräsenz in Auftrag, so dass künftig alle Mitglieder unter dem Dach der Internetseite den Vertrieb und Versand bündeln. So würde jeder Händler in Medien und Suchmaschinen mehr zur Geltung bekommen.
Modellprojekt in Berlin
Die Vergemeinschaftung von Webshops ist in Siegen, östlich von Köln, bereits Realität, firmiert unter dem Namen „Lokaso“ und vereint vom Fachgeschäft bis zum Supermarkt die gesamte Spanne des Einzelhandels unter einem Dach.
Rainer Frohloff, der in Zusammenarbeit mit der IHK und dem Handelsverband Berlin-Brandenburg noch in diesem Jahr einen Modellkiez für das vergleichbare Pilotprojekt in Berlin auswählen will, rechnet mit Anlaufkosten von 60 000 bis 80 000 Euro. Er hält gerade die Hauptstadt für den geeigneten Boden zum Experimentieren in dieser Stoßrichtung: „Es gibt hier so viel Kiez, dass man damit arbeiten muss.“ Ladentheke und Onlinekauf waren einmal Begriffe aus zwei verschiedenen Welten. Jetzt müsse man sie zusammendenken.
Bestellt wird digital und lokal per Sammelbestellung. Die Auslieferung erfolgt auf dem Lastenfahrrad. Das hält Frohloff für ökologisch sinnvoll und modern. Und Bürgermeister Naumann findet die Idee eines „Webkiezkaufhauses“ durchaus bedenkenswert: „Der Name ist griffig. Den merkt sich auch Oma.“
"Sie müssen größer werden"
Ob die Vision des „Kiez-Amazon“ am Rüdesheimer Platz wirklich eine Chance hat? Frohloff sieht zunächt eine Hürde: „Sie müssen größer werden“, rät er dem neuen Rüdi-Bündnis. „20 bis 30 Mitglieder wären ideal.“ Die Gemeinschaft der Händler wird sich bis Ostern überlegen, ob sie die virtuelle Pioniertat wagen will. Größer werden will man so oder so. tsc
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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