Mit der Berliner-Woche-Serie den DDR-Spionen auf der Spur

Hans-Michael Schulze hat seine DDR-Recherchen in einem Buch festgehalten. | Foto: Wrobel
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Alt-Hohenschönhausen. In der Gegend um den Ober- und Orankesee herum gingen einst die Spione in den Villen ein und aus. Im Rahmen der Berliner Woche-Serie "Unser Kiez – Rund um die Konrad-Wolf-Straße" macht sich Historiker Hans-Michael Schulze auf zu einem Kiezspaziergang und gewährt einen Einblick in das Stasi-Leben von damals.

"Es sollte nach einem ganz normalen Wohngebiet aussehen", sagt Hans-Michael Schulze. "Dass es in Wirklichkeit etwas Besonderes war, das merkten Besucher an der Atmosphäre." Wo ranghohe Stasi-Offiziere Tür an Tür wohnten, kam niemand Fremdes unbemerkt an den Häusern vorbei. "Jeder kannte hier jeden", weiß der Historiker. Doch auch unter den Bewohnern herrschte eine gewisse Selbstkontrolle. "Privat- und Arbeitsleben flossen hier ineinander", weiß er. "Nachbarschaftsstreit? Wenn es den je gab, dann ging das gleich an den Vorgesetzten." Meist waren es jedoch die Vorgesetzten und damit ranghohe Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) selbst, die an der Obersee-, Waldow-, Oranke-, Elsa- und Manetstraße residierten. Hinter den Haustüren gaben sich Menschen wie Ernst Wollweber, Chef des Ministeriums für Staatssicherheit und damit Erich Mielkes Vorgänger, ganz privat.

"Verdeckt wohnen und arbeiten", das taten ebenso der Mielke-Stellvertreter Rudi Mittig oder auch Gerhard Heidenreich, der die DDR-Auslandsspionage gründete. Für den späteren Chef Markus Wolf wurde das Haus in der Oberseestraße 40 hergerichtet. Zu den bekanntesten Bewohnern zählt auch der legendäre Devisen-Beschaffer Alexander Schalck-Golodkowski. Auskunft darüber geben allein Akten: Schon damals suchte man die Namen der Herren an den Klingelschildern vergeblich. "Herr Obergeschoss" und "Frau Erdgeschoss" – so lautet die aus den Namen der Schilder hergeleitete Fopperei, die darauf schließen lässt, dass die Stasi-Prominenz für den Rest der Bevölkerung wohl nicht ganz unsichtbar blieb.

Wer heute die Siedlung besucht, wird kaum Spuren entdecken. "Die neuen Anwohner wissen meist nicht, wer in ihren Häusern einst gewohnt hat." Der Historiker hat die Geschichte der Siedlung rund um den Ober- und Orankesee recherchiert und in seinem im Jahr 2003 erschienen Buch "In den Villen der Agenten. Die Stasi-Prominenz ganz privat" festgehalten (ISBN-10: 3814801245). Er weiß, wo Walter Ulbricht am Orankesee zur Mittagszeit Tennis spielte und wie berufliche Rivalitäten den Alltag der Stasi-Nachbarn bestimmten. Immer wieder führt der Historiker interessierte Menschen auch durch den Kiez und klärt in seinen Führungen über ein Stück DDR-Geschichte auf, das selbst vielen einstigen DDR-Bürgern verborgen blieb.

Denn seit Mitte der 1950er Jahre stand die Siedlung zwar offen, doch meist kamen Besucher nur bis zum Strandbad Orankesee, wenn sie überhaupt einen Fuß in die Siedlung zu setzen wagten. Die Bewohner blieben so bis zur Wende unter sich. "Die Recherche war deshalb keine einfache Aufgabe", sagt der 48-Jährige. Seit Anfang 2000 beschäftigt er sich mit dem Gebiet, das mehr als 300 Häuser zählt. Die Quellenlage der Akten ist diffus. "Ein ergänzendes Bild geben Gespräche mit Zeitzeugen", erklärt Schulze. Und auch die bauliche Struktur der Siedlung lässt sich gut nachvollziehen. Sie offenbart das elitäre Selbstverständnis der "Firma".

Ein Beispiel ist etwa das heute nicht mehr erhaltene "Klubhauskino" im Offizierskasino, das 1948 für rund 370 000 DM gebaut wurde – bezahlt vom Bezirksamt Weißensee, wie Schulze in seinem Buch detailliert schildert. Das Offizierskasino selbst war ein dreistöckiges Gebäude mit Tennisplatz und einem uhrenbestückten Mittelturm. Es war neben dem heute noch erhaltenen Wasserturm ein "architektonisches Wahrzeichen des Areals".

Zu den rätselhaftesten Bauten zählt wiederum die heute nicht mehr erhaltene "Fälscherwerkstatt" an der Orankestraße. Erst 1989 wurde sie der Öffentlichkeit mit ihren Laboranlagen und Versuchsräumen zugänglich gemacht. "Was dort jahrzehntelang tatsächlich gemacht wurde, ist bis heute nicht ganz aufgeklärt", weiß Schulze. Belegt ist, dass hier kurz vor der Wende geheime Spionage-Akten containerweise herangefahren wurden, deren Vernichtung durch Beauftragte des Zentralen Runden Tisches der DDR überwacht wurde. Die ehemaligen Genossen der Stasi konnten sich wohl sicher sein, dass sie bei ihrem Tun in diesem Wohnumfeld quasi unbeobachtet blieben. "Die Nachbarn waren eben Leute, die nicht nachfragten", weiß Schulze. KW

Tipp:

Hans-Michael Schulze lädt am 8. und 16. Mai um 15 Uhr sowie am 22. Mai, 5. und 26. Juni jeweils um 11 Uhr zu einem Kiezspaziergang. Treffpunkt ist vor dem Hotel „Alte Feuerwache“ in der Waldowstraße 1. Ein Unkostenbeitrag von 10 Euro wird erhoben. Infos:  0151 16 57 22 64.

Sie wollen weitere Geschichten aus der Serie rund um die Konrad-Wolf-Straße lesen? Dann klicken Sie auf Unser Kiez - Rund um die Konrad-Wolf-Straße. Persönliche Kiezgeschichten aus der ganzen Hauptstadt gibt es wiederum auf Unser Kiez - Berlin.
Autor:

Karolina Wrobel aus Lichtenberg

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