Berliner Original
Wie aus Marlene Orgel-Rieke wurde
„Ohne Spagat geht gar nichts!“ heißt das neue Buch von Marlene Szaulat. Darin erzählt sie ihren Lesern, wie sei ein Berliner Original wurde. Als Orgel-Rieke kennen sie wohl die meisten Berliner.
Mit Herz und Schnauze, Drehorgelmusik und Gassenhauern sorgte sie Jahrzehntelang für fröhliche Stimmung. In ihrem neuen Buch wirft die gebürtige Berlinerin, die seit 60 Jahren in Alt-Hohenschönhausen lebt, einen Blick auf ihr turbulentes Künstlerleben.
Dass sie einmal ein Berliner Original werden würde, hätte Marlene Szaulat nie geahnt. Denn zum Drehorgelspielen kam sie aus einem ganz anderen Grund. Ihr damaliger Mann spielte in einer Blasmusikformation. Sie organisierte für die Band Auftritte und Verträge. Außerdem stellte sie die Programme zusammen, und als gelernte Maßschneiderin schneiderte sie den Musikern ihre Bühnenkleidung auf den Leib.
Wenn Musiker live spielen, brauchen sie ab und an eine Pause. Irgendwann hatte Managerin Marlene die Idee: Ich kann ja als Gag in den Pausen mit einer Drehorgel durch den Saal laufen. Die Orgel wurde von einer Schaustellerfamilie erworben. „Es gab mehrere Interessenten dafür. Aber als ich sagte, dass ich damit meinen Lebensunterhalt verdienen möchte, bekam ich den Zuschlag“, erinnert sich die inzwischen 86-jährige. „Die Orgel mussten wir erst einmal aufarbeiten lassen. Das war eine Orgel mit Stiften auf der Walze, und sie konnte nur acht Lieder spielen.“
Anfangs durfte sie in Ost-Berlin nicht offiziell zum Drehorgelspiel singen, weil ihr der Berufsausweis als Musikerin fehlte. „Ich hatte nur eine vorläufige Auftrittsgenehmigung von den Behörden. Darum summte ich einfach die Melodie und dann sangen die Leute von selbst dazu.“ Ende der 80er-Jahre hatte die Kapelle einen Auftritt in der Alt-Berliner Gaststätte Metzer-Eck in Prenzlauer Berg vor honorigem Publikum aus dem Kulturministerium. Was keiner der Musiker und natürlich auch Marlene selbst nicht wusste: Auch der damalige DDR-Kulturminister war anwesend.
„Zufälligerweise kam ich mit dem Mann, den ich nicht kannte, ins Gespräch“, erinnert sie sich. „Ich schimpfte über die vielen Vorschriften, die es für Musiker gab und sagte, dass mir eigentlich die Pappe für das Singen zur Orgel fehlt. Alles ringsum kicherte bereits, weil ich ganz offen mit Berliner Schnauze so mit ihm redete. Der Mann versprach mir, dass ich meinen Berufsausweis bekommen werde. Und etwa ein Vierteljahr später war ich die erste Orgelspielerin der DDR mit Berufsausweis.“
Das aus Marlene Szaulat Orgel-Rieke wurde, ist übrigens dem Film „Ein Mann will nach oben“ zu verdanken. „Darin spielt eine Rieke mit, die mich zu diesem Namen inspirierte“, sagt sie. Als nach zehn Jahren Bandgeschichte die Blasmusikformation auseinanderfiel, gesellte sich zur Orgel-Rieke ihr damaliger Mann, der den Künstlernamen Schieber-Max bekam, inspiriert vom Gassenhauer „Max, du hast das Schieben raus“.
Um noch mehr Titel spielen zu können, schaffte sich Orgel-Rieke eine elektronische Drehorgel an, die zusätzlich ein Schlagzeug und ein Glockenspiel hatte. Dank ihres Humors, ihrer Schlagfertigkeit und der hübschen selbstgeschneiderten Kostüme kam Orgel-Rieke beim Publikum gut an. Da die elektronische Orgel recht schwer war, trat Orgel-Rieke offiziell fast immer mit Schieber-Max auf. Nach der Trennung von ihrem langjährigen Lebens- und Bühnenpartner gesellte sich später Bernd Petrak an ihre Seite.
Der schrieb unter anderem Texte für Helga Hahnemann und passte damit gut zu Orgel-Riecke: „Ich sang auch Lieder von Helga Hahnemann auf meine ganz eigene Weise“, erzählt Marlene Szaulat. Die rührige Musikerin hatte in ihrer aktiven Zeit ein Repertoire von zirka 500 Titeln. Alle waren elektronisch in ihrer Hightechorgel gespeichert. Und im Unterschied zu anderen Drehorgelspielern, die an der Straße stehen oder bei Feiern einige Titel spielen, präsentierten Orgel-Rieke und Schieber-Max komplette Programme bei ihren unzähligen Auftritten im deutschsprachigen Raum.
Nach und nach zog sich Marlene aus dem aktiven Leben als Künstlerin zurück. „Wann ich endgültig aufgehört habe, kann ich gar nicht mal genau sagen“, meint sie. „Aber offen gestanden, fehlt mir das Drehorgelspielen vor Publikum. Es war eine schöne Zeit“, lacht Marlene Szaulat, „und meinen Humor habe ich trotz mancher Wehwehchen nie verloren.“
Dass sie ihrer Autobiographie den Titel „Ohne Spagat geht gar nichts!“ gab, hat natürlich auch seinen Grund: Ein Spagat gehörte zu ihren Programmen.
„Ohne Spagat geht gar nichts!“ von Marlene Szaulat alias Orgel-Rieke ist unter der ISBN 978-3-7549-7487-2 für 10,99 Euro zu beziehen.
Autor:Bernd Wähner aus Pankow |
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