Zuhause in einem Bauwagen
Jürgen Hans wohnt seit der Gründung 1991 in der Wagenburg Lohmühle – ein Besuch
„Ich habe hier meine eigene kleine Oase, kann mich zurückziehen, habe viel mit jungen Leuten zu tun und lebe gern in der Gruppe“, sagt Jürgen Hans, als er sich mit einer Tasse Kaffee in seinem Stuhl zurücklehnt. Seit 1991 wohnt er in der Wagenburg Lohmühle, die er damals mit zwei Kumpels gegründet hat.
Zu jener Zeit besetzten einige Bauwagen- und Lkw-Bewohner den ehemaligen Mauerstreifen im heutigen Schlesischen Busch. Als dieser dann zu einem Park umgestaltet wurde, zogen sie weiter auf das Gelände neben der Lohmühlenstraße. Jürgen Hans, der 1983 wegen seiner damaligen Freundin aus Rheinland-Pfalz nach Berlin kam und hier zunächst in einer Wohnung lebte, war zuvor durch einen Freund auf den Geschmack gekommen. Dieser hatte sich bereits zuvor in einer Wagenburg in Kreuzberg eingerichtet.
Der Lebensstil gefiel ihm. Deshalb probierte er es selbst aus, verließ seine Wohnung und kaufte sich seinen ersten Bauwagen bei einer Baufirma. „Du konntest alles ausprobieren, auch mit wenig Geld. Das waren die 90er-Jahre in Berlin“, blickt er zurück. „Ich war damals eine Mischung aus Hippie und Punk. Am Anfang haben wir nur am Lagerfeuer gesessen und gesoffen.“ Dabei ist er auch zu seinem Spitznamen „Zosch“ gekommen, wie er auch heute noch von allen genannt wird. „Es gab da einen Laut beim Bieröffnen, der wie ‚Zosch‘ klang. Das ging nur mit einer Marke. Und weil ich genau auf diese Marke stand, haben sie mich so genannt.“
Generationen zusammen
Mit 61 Jahren ist er heute mit Abstand der älteste der stets bis zu 18 Bewohner. Es leben aktuell auch drei Kinder in der Wagenburg. Mehr Bewohner werden es nicht mehr. Nur, wenn jemand auszieht, kann ein neuer Bewohner dazukommen. Das ist jedoch alles andere als ein Kinderspiel. „Man muss sich vor dem Gremium vorstellen, hat dann sechs Monate Probezeit, und danach muss einstimmig für dich entscheiden werden“, erklärt Zosch.
Das Gremium der Bewohner tagt einmal wöchentlich, um Aufgaben zu verteilen, zum Beispiel Reparaturen auf dem Gelände und die Durchführung von Veranstaltungen. Die Wagenburg ist ein Kulturprojekt. Vor Corona wurden alle zwei Wochen Konzerte organisiert. Jede Band konnte dort spielen. Die Bewohner der Wagenburg haben eine Bühne gebaut, einen Tresen und aus Recyclingholz sogar einen Keller, um Getränke auch im Hochsommer kühlen zu können. Zosch kümmert sich vor allem um die Verwaltung, baut aber auch bei Veranstaltungen die Technik auf und macht sauber. Zwei Gästewagen stehen für Übernachtungen auf dem Gelände bereit. Das Angebot wird gern von Musikern genutzt, die in Berlin für kleine Gagen auftreten.
Musik mit Solarstrom
In seinem eigenen Bauwagen hat Zosch auf engstem Raum fast alles, was er braucht: einen Gasherd mit zwei Platten zum Kochen, eine Spüle, einen Ofen und ein Bett. Außerdem besitzt er einen Laptop und einen DVD-Player mit Bildschirm. „Es sind 12-Volt-Geräte. Die verbrauchen wenig Energie und die kannst du mit Solarstrom betreiben“, erklärt er. Stolz ist er auf seinen Plattenspieler sowie seine 2000 Schallplatten, die er zum größten Teil in seinem zweiten Bauwagen untergebracht hat. „Ich höre gern Soul und Funk aus den 60ern und 70ern, afrikanische und lateinamerikanische Musik.“ Sogar im Internet kann er surfen, weil eine Mieterin aus der Karl-Kunger-Straße ihr WLAN zur Verfügung stellt. Eine normale Stromversorgung gibt es nicht. Dafür sind auf den Bauwagen Solarmodule installiert.
Die Post wird zu einem Gemeinschaftsbriefkasten in der Lohmühlenstraße gebracht. Um in seinem Bauwagen zu heizen, zündet Zosch Brennholz im Ofen an, das meist bei Baumfällungen übrigbleibt, und Holzbriketts, die über Stunden glühen und lange für eine angenehme Temperatur sorgen. Durch den Winter zu kommen, ist somit kein Problem. Nur der Gang zur Toilette kann da schon mal ungemütlich werden. Am Eingang zur Wagenburg gibt es ein kleines Plumpsklo. Ein- bis zweimal pro Woche kommt ein Abpumpwagen vorbei und bringt die Hinterlassenschaften zum Klärwerk.
Eigentlich vermisst Zosch nichts in seinem Leben, nur eine Dusche und eine Badewanne. Dafür muss jeder Bewohner für sich selbst eine Lösung finden. Er selbst geht immer in der Universität der Künste duschen, wo er als Selbstständiger eine Cafeteria betreibt und gern mit den Studenten plaudert. Andere nutzen die Duschen des Wellenbads am Spreewaldplatz oder die Wohnungen von Freunden. Jeder Bewohner hat Bekannte im Kiez.
Zwischen Drogenmilieu und Tourismus
Im Laufe seiner fast 30 Jahre in der Wagenburg hat Zosch hautnah erlebt, wie sich die Gegend verändert hat. Anfangs konnte noch jeder durch das Gelände laufen. Einen Zaun gab es nicht. Damals schloss Zosch noch nicht einmal seinen Bauwagen ab, als er zur Arbeit ging. Das würde er heute nicht mehr machen. In den vergangenen Jahren ist es ein wenig unruhig geworden. Der für den Drogenhandel berüchtigte Görlitzer Park beginnt direkt auf der gegenüberliegenden Seite des Landwehrkanals. „Es gab in der Vergangenheit mehrere Überfälle“, berichtet er. „Wir wurden außerdem teilweise von Touristen überlaufen. Die haben sich direkt ans Fenster gestellt und fotografiert.“ Deshalb sind heute auf vielen Bauwagen Schilder zu sehen, die das Fotografieren untersagen.
Obwohl die Wagenburg seine Heimat ist, macht sich Zosch inzwischen Gedanken, wie lange er dort noch bleiben wird. „Ich bezweifle, dass ich mit 80 noch regelmäßig Brennholz und Trinkwasser schleppen kann.“ Um die Zukunft des Geländes muss er sich vorerst nicht sorgen, denn der Bezirk hat den Pachtvertrag bis 2025 verlängert. „Ich denke, solange die Bevölkerung hinter uns steht und wir gute Kulturarbeit machen, werden wir das Gelände halten können.“
Autor:Philipp Hartmann aus Köpenick |
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