Hier finden 16 Wohnungslose jede Nacht eine Bleibe
Ralf (63) sieht aus, als sei er hier eigentlich fehl am Platze. Der kräftige Mann aus Kreuzberg hat am 19. Januar seine Wohnung verloren, sie wurde geräumt. "Ich hatte 1200 Euro Mietschulden" gibt er zu. Nun verbringt er schon die dritte Nacht in der von der Bekenntnisgemeinde betriebenen Notübernachtung. Die Plätze auf den Matratzen, dazu gibt es Bettwäsche, teilen sich an diesem Abend Deutsche mit Menschen aus Polen, Rumänien und Litauen. Geöffnet ist an fünf Tagen in der Woche, außer dienstags und sonnabends. Um 19 Uhr öffnen sich die Türen, dann steht schon eine Schlange vor dem Gemeindehaus in der Plesser Straße 3. Gezählt werden an diesem Abend 29 Besucher. Das Thermometer zeigt später in der Nacht 2 Grad Minus. Wirklich keine Temperatur für eine Nacht unter der Brücke oder im Zelt im Treptower Park.
Einige Besucher haben eine Wohnung und kommen nur zum kostenlosen Abendesse her. An diesem Abend gibt es Kartoffeln mit Quark. Wer Alkohol dabei hat, der muss die Flasche abgeben. Er bekommt sie erst beim Verlassen der Notübernachtung zurück.
Die Einrichtung gibt es jetzt schon ein Vierteljahrhundert. Der damalige Pfarrer Dieter Ziebarth erinnert sich: "Schon wenige Tage nach dem Mauerfall saßen die ersten Obdachlosen aus Neukölln mit Bierdosen in der Hand auf den Kirchenstufen. Die Gemeinde hat dann eine Wohnung zur Verfügung gestellt, dort konnten wir diese Menschen betreuen."
Bezahlt wird die Notübernachtung im Rahmen der Kältehilfe aus Mitteln des Senats. Allerdings nur für die offizielle Wintersaison vom 1. November bis zum 31. März. Weil die evangelische Bekenntnisgemeinde ihre Türen für Wohnungslose bereits im Oktober öffnet und erst im April wieder schließt, muss dieser Teil der Hilfe aus dem Gemeindeetat - sprich aus Spenden der 2100 Mitglieder- bezahlt werden. Am 21. Januar hat sich Harald Moritz, Abgeordnetenhausmitglied von Bündnis 90/Grüne, angesagt. Der wohnt ganz in der Nähe und hat in der Karl-Kunger-Straße sein Kiezbüro. Moritz hat fünf große Tüten mit Kleidung mitgebracht, darunter 50 Paar dicke Socken, die er extra gekauft hat. Er führt mehrere Gespräche mit Wohnungslosen, so gut es die engen Räume zulassen. Nach dem Essen wurden Stühle und Tische weggeräumt und die 16 Matratzen ausgelegt. Dafür müssen zwei kleine Zimmer reichen. Nebenan im Bad können die Übernachtungsgäste duschen, in Waschmaschine und Trockner dreht sich die wenige Habe.
Stephan Boß (46) ist Sozialarbeiter, er betreut die Notübernachtung ehrenamtlich. Und er weiß aus seiner Arbeit ganz genau, dass ein Betroffener mit Mietschulden, negativem Schufa-Eintrag und vielleicht noch mit Verhaltensproblemen kaum eine Chance auf eine neue Bleibe hat. "Selbst aus dem geschützten Marktsegment ist fast nichts zu haben. Vermieter geben eine kleine, kostengünstige Wohnung lieber einem Studenten, dessen Eltern noch eine Bürgschaft unterschreiben", sagt Boß.
Ralf, der eingangs erwähnte Kreuzberger, wäre mit einem Wohnheimplatz derzeit zufrieden. Er hat viele Jahre beim Zirkus gearbeitet, seine Arbeitgeber haben nicht in die Rentenkasse eingezahlt. Jetzt will sich Sozialarbeiter Boß um eine Unterkunft kümmern, damit Ralfs Tage in der Notübernachtung gezählt sind.
Sabine (56) hat inzwischen eine Bleibe in einer Wohneinrichtung. Im vorigen Winter hatte die frühere Stuttgarterin fünf Monate in der Plesser Straße übernachtet. "Das hat mich vor dem Erfrieren gerettet", sagt sie. Aus Dankbarkeit kommt sie an manchem Abend und hilft in der Küche mit.
Harald Moritz ist nach dem Besuch sichtlich beeindruckt. "Das Schicksal dieser Menschen zeigt, dass der Verlust der Wohnung um jeden Preis verhindert werden muss. Deshalb fordere ich, dass die vom Rauswurf bedrohten Mieter in der Beermannstraße - wegen Autobahnbau, d. Red. - in Zusammenarbeit von Bezirk und Senat bezahlbaren Wohnraum bekommen, und nicht wie geplant Mitte Februar auf die Straße gesetzt werden.
Autor:Ralf Drescher aus Lichtenberg |
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