Sie sah keinen Ausweg mehr
In der Hufeisensiedlung wird ein Stolperstein für Charlotte Adel verlegt
Der Künstler Gunter Demnig verlegt Dienstag, 4. September, in der Hufeisensiedlung einen Stolperstein für die Widerstandkämpferin Charlotte Adel. Die Feier beginnt um 15 Uhr vor dem Haus Backbergstraße 23.
Hier, in der damaligen Karlstraße, befand sich der letzte Wohnort von Charlotte Adel. Erst Mitte der 1930er-Jahre zog sie dorthin, von den meisten Freunden und Bekannten verlassen, ohne Arbeit und mit Schulden.
Zuvor lebte die gebürtige Tempelhoferin in einer Gemeinschaftswohnung in Prenzlauer Berg. Dort ist sie illegal für die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands tätig, einer linken Abspaltung von der SPD. Das große Ziel ist der Zusammenschluss von KPD, SPD, Gewerkschaften und anderen Massenorganisationen, um eine Einheitsfront gegen den Faschismus zu bilden.
Charlotte Adel unterstützt Streiks, nimmt im Untergrund lebende Genossen auf und leitet chiffrierte Briefe weiter. Am 22. August 1933 wird sie zusammen mit ihrer 16-jährigen Tochter Lilli, die schon von frühester Jugend an gegen die Nazis kämpft, und anderen Anwesenden in ihrer Wohnung festgenommen. Ein eingeschleuster Spitzel hat die Gruppe verraten. In der Untersuchungshaft sieht sie bei Gegenüberstellungen misshandelte Genossen. Es beginnen Verhöre, Quälereien und Erniedrigungen durch die Gestapo.
Während Lili nach wenigen Monaten entlassen wird, erhöht sich der Druck auf Charlotte Adel, die Freunde zu verraten. Ihre Tochter darf sie nur sehr selten sehen, die Vormundschaft wird ihr entzogen. Sie unternimmt einen Selbstmordversuch. Mehr als ein Jahr nach ihrer Festnahme wird Charlotte Adel wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu anderthalb Jahren Gefängnis verurteilt. Die Untersuchungshaft wird angerechnet, sodass sie im Frühjahr 1935 freikommt und nach Britz zieht – erst in den Lowise-Reuter-Ring, später in die Karlstraße.
Doch glücklich wird sie nicht mehr. Die ausgebildete Stenotypistin ist oft ohne Beschäftigung und weiß nicht, wie sie das Nötigste zum Leben aufbringen soll. Als „Poltische“ steht sie ständig unter Beobachtung, und sie leidet unter den Folgen der Haft. Im Oktober 1937 entziehen ihr die Nazis für zehn Jahre die Arbeitserlaubnis.
Irgendwann ist Charlotte Adel am Ende ihrer Kraft. In ihrem Abschiedsbrief an Lilli vom 14. Mai 1938 teilt sie der Tochter mit, wo es noch Schulden gibt und bedauert, kein Geld für eine Sterbekasse gehabt zu haben. Weiter schreibt sie: „Sehr leicht fällt es mir nicht, Dich im Stich zu lassen. Aber es geht wirklich nicht mehr so weiter … Nun lebt wohl.“ Sie stirbt mit 44 Jahren.
Es war die Frauengeschichtsforscherin Claudia von Gélieu, die Charlotte Adel für die Ehrung vorgeschlagen hat. Die Anwohnerinitiative „Hufeisern gegen Rechts“ übernahm die praktische Umsetzung. Das Geld für diesen und andere neue Stolpersteine stammt aus Spenden, die zusammenkamen, nachdem mutmaßliche Neo-Nazis im vergangenen Jahr 16 Stolpersteine im Bezirk geschändet hatten.
Bei der Gedenkveranstaltung sprechen Bürgermeister Martin Hikel (SPD), Claudia von Gélieu und Valeria Klingbeil von „Hufeisern gegen Rechts“. Susanne und Peter Bäss lesen Texte vor, auf dem Akkordeon begleitet von Isabel Neuenfeldt. Weitere Informationen unter www.hufeiserngegenrechts.de.
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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