Ein Fall für den Bundestaatsanwalt
Betroffene fordern, rechte Anschlagserie in Süd-Neukölln als Terrorismus einzustufen
Seit 2016 hat es 51 Angriffe in Neukölln gegeben, hinter denen Rechtextreme vermutet werden, 16 waren Brandanschläge. Die Betroffenen haben sich zusammengetan und einen Brief nach Karlsruhe geschickt. Ihre Forderung: Die Serie soll als Terrorismus eingestuft werden, der Generalbundesstaatsanwalt ermitteln.
Am 7. Dezember stellten sie ihr Anliegen bei einer Pressekonferenz im Rathaus vor, unterstützt von Bürgermeister Martin Hikel (SPD). Schlimme Erfahrungen haben sie allesamt gemacht: die Politikwissenschaftlerin Claudia von Gélieu, der Buchhändler Heinz Ostermann, die SPD-Politikerin Mirjam Blumenthal, der Linke Ferat Kocak, Lasse Jahn von Die Falken und Jürgen Schulte, Sprecher der Initiative Hufeisern gegen Rechts.
Bereits 2011/12 gab es eine erste Anschlagsserie, bei der auch die Falken im Visier der rechten Szene waren. „Gruppenleiter wurden angegriffen, zusammengeschlagen, sie bekamen Morddrohungen“, berichtet Lasse Jahn von der sozialistischen Jugendorganisation. Zweimal steckten unbekannte Täter das Anton-Schmaus-Haus an, den Britzer Treffpunkt der Falken. „Nur eine Nacht vor dem ersten Brand schliefen Kinder dort, meine Schwester war dabei“, so Jahn. Inzwischen ist das Gebäude von einem Sicherungszaun umgeben, es gibt Überwachungskameras, die Polizei ist regelmäßig vor Ort.
Nachhaltiges Trauma
Ferat Kocak ist sein Entsetzen immer noch anzumerken. In der Nacht vom 31. Januar zum 1. Februar 2018 brannte sein Auto aus. Es stand direkt neben dem Rudower Wohnhaus seiner Eltern. Er wachte glücklicherweise vom hellen Schein des Feuers auf und konnte seine Eltern in Sicherheit bringen. Seine Mutter erlitt in der Nacht einen Herzinfarkt. „Auch heute verlässt sie nur noch selten das Haus, nichts ist mehr wie vorher“, sagt Kocak. Er wohnt inzwischen woanders, wenn er jedoch einmal eine Nacht in Rudow verbringt, hält er die ganze Zeit Wache. Erst nach dem Anschlag erfuhr er, dass es Hinweise darauf gegeben habe, dass er verfolgt und ausgespäht wurde, „Warum wurde mir das nicht mitgeteilt?“, fragt er sich bis heute.
In derselben Nacht brannte auch das Auto des Buchhändlers Heinz Ostermann – zum zweiten Mal. „Wenn man sich gegen Rechtsextremismus und für Flüchtlinge engagiert, wird es gefährlich. Es ist überraschend, dass noch niemand zu Schaden gekommen ist“, sagt er. Auch Mirjam Blumenthal und Claudia von Gélieu mussten erleben, wie ihre Wagen in Flammen aufgingen.
Empörung über Staatsanwaltschaft
Im Jahr 2017 hat die Polizei zwei Sondereinheiten eingerichtet. „Doch es gibt keinerlei Ermittlungserfolge“, bilanziert von Gélieu. Für Jürgen Schulte steht das Verschwinden von 16 Solpersteinen am 6. November 2017 – kurz vor dem Jahrestag der Reichspogromnacht – ebenfalls im Zusammenhang mit all diesen Taten. „Nach vier Monaten wurden die Ermittlungen eingestellt. Die Staatsanwaltschaft hat nicht mal die übliche halbjährliche Schamfrist eingehalten. Wir finden das empörend“, sagt Schulte. Die Polizei sehe keine Verbindung zu den anderen Vorkommnissen und habe die Tat als einfachen „Diebstahl“ eingestuft.
„Es gibt hier eine Bande von Nazis, die die Zivilgesellschaft terrorisiert“, so Bürgermeister Martin Hikel. Menschen sollten eingeschüchtert werden. Um die Puzzlesteine zusammenzufügen und eine breitere Sicht auf die Dinge zu bekommen, solle die Generalbundesanwaltschaft die Ermittlungen an sich ziehen. Voraussetzung ist, dass die Taten „Terrorismus“ eingestuft werden – so wie es die Bezirksverordnetenversammlung und auch Innensenator Andreas Geisel (SPD) bereits getan haben.
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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