Mit Storchenschnabel und Seifenkraut
Als Vorbild: Wohnungsgenossenschaft und Stiftung schaffen naturnahen Vorgarten
Der Beamten-Wohnungs-Verein zu Köpenick besitzt in Neukölln nur eine einzige Anlage, nämlich an der Rungiusstraße 29–35. Doch die soll Schule machen. Am 20. Mai wurde den Bewohnern ein nagelneuer naturnaher Vorgarten übergeben. Bald soll es hier duften, summen, krabbeln und zwitschern.
„Noch so ein Regenguss, und Sie werden den Schotter zwischen den Pflanzen nicht mehr sehen, denn die wachsen schnell“, tröstete Dr. Corinna Hölzer die Mieter über Wolkenbruch, Blitz, Donner und Hagel hinweg, die sich pünktlich zur Eröffnung einstellt hatten. Hölzer ist Biologin bei ihrer eigenen Stiftung für Mensch und Umwelt. Sie hat das Modellprojekt „Treffpunkt Vielfalt – naturnahe Gestaltung von Wohnquartieren“ auf die Beine gestellt, das vom Bundesamt für Naturschutz gefördert und fachlich begleitet wird.
Es geht darum, auch auf kleineren Flächen etwas für den Artenschutz und -erhalt zu tun, nämlich heimische Pflanzen, die zum trockenen Berliner Sandboden passen, blühen und gedeihen zu lassen. „Als Frau Hölzer auf uns zukam, waren wir gleich Feuer und Flamme“, sagt Andrea Zwingelberg vom Wohnungs-Verein. Um die 65 Mietparteien ins Boot zu holen, bedurfte es jedoch ein wenig Überzeugungsarbeit. So hingen einige an den beiden großen Fichten im Vorgarten, doch die passten nicht ins Konzept. Sie waren zu dominant, ihre Wurzeln überall und die Nadeln machten den Boden sauer.
Direkt gesäte Pflanzen kennen den Boden
„Noch sieht es hier nicht so toll aus, aber die Pflanzen sollen in diesem Boden hier anwachsen und nicht schon groß eingepflanzt werden“, so Zwingelberg. Genau so sei es, bestätigt Corinna Hölzer. Am allerbesten bringe man Saatgut aus, so lernten Blumen, Stauden & Co. von Anfang an den Boden kennen und könnten sich besser gegen mögliche pflanzliche Konkurrenten behaupten.
Doch weil das Auge schnell Nahrung möchte, blüht es auch schon jetzt auf der Fläche. Für Farbtuper sorgen beispielsweise der Ausdauernde Lein, das Rot-Seifenkraut, die Leinblättige Tulpe, das Kriechende Gipskraut und der Wald-Storchenschnabel. „Im Gegensatz zu Geranien oder Stiefmütterchen vermehren sich diese Pflanzen noch selbst, bringen Samen und Früchte hervor und wandern durch den Garten, dorthin, wo es ihnen am besten gefällt“, erklärt die Biologin. Und weil Wildformen um Bestäuber wie Bienen und Schmetterlinge wetteifern, senden sie Wohlgerüche aus, die auch dem Menschen gefallen.
Überall Grün
Auf der rund 560 Quadratmeter großen Fläche sind nicht nur Blumen angesiedelt. Es gibt auch einige Gehölze, die so hoch werden, dass sie Vögel anlocken. So wie der sechsjährige Eingrifflige Weißdorn-Baum, der bald Schatten über die neue hölzerne Sitzbank werfen soll. Hier können sich Mieter niederlassen, um den Garten zu genießen. Auch für Bewohner der oberen Geschosse bietet sich jetzt ein schönerer Blick: Sogar das Dach des Müllabstellplatzes ist begrünt worden.
Auf der Blühfläche außerdem zu finden sind liegendes und stehendes Totholz sowie kleine Findlinge. Darunter ist es feucht: ein ideales Mikroklima für Nützlinge wie Spinnen, Asseln, Ohrwürmer, Schlupfwespen und Kröten. Eine Trockenmauer bietet zusätzliche Wohnstätten für kleine Tiere, genau wie der „Lesesteinhaufen“. Früher konnte man diese Haufen oft neben Feldern sehen, hier lud der Bauer Gesteinsbrocken ab, die er von der Anbaufläche gesammelt hatte. „Ein Super-Habitat, beispielsweise für Käfer, Wildbienen und Zauneidechsen“, so Hölzer.
Garten als Treffpunkt
„Treffpunkt Vielfalt“ beziehe sich nicht nur auf die Flora und Fauna, sagt sie. An der Rungiusstraße lebten alte und junge Mieter, auch sie sollten durch das Projekt näher zusammenrücken. Und es gelte, die Gartendienstleister, die das Grün im Auftrag der Wohnungsgenossenschaft pflegen, einzuweisen und zu schulen. „Heutzutage haben nur noch wenige Gärtner Ahnung vom Miteinander heimischer Pflanzen, sondern sind hauptsächlich mit Rasenmäher und Laubbläser unterwegs“, so Corinna Hölzer.
Fünf „Vielfalt“-Projekte laufen derzeit bei Berliner Genossenschaften, es sollen noch viel mehr werden. Denn: Allein im Wohnungsbau gibt es bundesweit rund 680 000 Hektar Freiflächen, die sich in naturnahe Biotope verwandeln lassen.
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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