„Zeigen, was regional alles möglich ist“
Zwei Brüder produzieren seit fünf Jahren Biokräuter und -salate im großen Stil
Lebensmittel in der Stadt anbauen, damit die Natur außerhalb der Ballungsräume die Chance hat, sich zu erholen, damit Lieferwege kürzer werden und weniger Abfall entsteht. Das ist die Grundidee von Lukas und Sebastian Dehl. Vor fünf Jahren haben die Brüder deshalb ihre Firma „Britzer Kräuter“ in der Mohriner Allee 69 gegründet.
In dem riesigen Gewächshaus des ehemaligen Gartencenters Deutscher ziehen sie seitdem Kräuter und Salate, alles streng biologisch und zertifiziert. Zu ihren Kunden zählen die Kreuzberger Eisenbahnmarkthalle, die französische Botschaft, Sternerestaurants, Biomärkte. Oder besser: zählten. „Wir haben in den vergangenen Jahren viel gelernt. Nun erweitern wir und haben ein Forschungsjahr eingelegt“, sagt Lukas Dehl. So wollen die Brüder – beide sind studierte Ingenieure – unter anderem ihre „essbaren Wände“ mit Kräutern weiterentwickeln. Für die Gastronomie haben sie sie bereits getestet und eine Eisdiele mit Minze, Basilikum und Sauerampfer zum Selbstpflücken versorgt.
„Aber dort gibt es andere Ansprüche als im Privathaushalt. In der Gastro werden die Kräuter schnell verbraucht, wegen der Hygiene muss alles erdelos sein, die Pflanzen werden entweder mit einer Bio-Nährstofflösung oder nur mit Wasser versorgt“, erklärt Dehl. Damit eine essbare Wand aber auch Platz in der kleinsten Küche findet, knobeln die Brüder nun unter anderem daran, wie sich die Kräuter möglichst lange frischhalten.
Läuft alles nach Plan, wollen sie Ende des Jahres ihre Kunden wieder direkt mit Schnittlauch, Salbei, Zitronenmelisse, unterschiedlichen Basilikumsorten und mehr beliefern. Dass auch spezielle Wünsche erfüllt werden können, zeigt das Beispiel eines Gin-Herstellers. Für ihn haben die Dehls einen extrem trockenen französischen Majoran produziert. Denn es gilt: Umso trockener, desto mehr ätherische Öle enthält das Kraut. Unter den Salaten finden sich ebenfalls Exoten, so wie Mizuna, ein japanischer Senfkohl, der auch im Winter gedeiht.
Nicht nur die Produktion soll in ein paar Monaten wieder richtig losgehen, die Brüder arbeiten auch an einem neuen Warensystem. Das Zauberwort lautet Transparenz. Per Mausklick auf der Internetseite sollen die Menschen alles über die Produkte erfahren: Wurden sie behandelt und wenn ja, womit? Woher kommen die Erde, die Töpfe, das Saatgut? „Kommunikation ist sehr wichtig. Wir müssen erklären, warum Biowaren teurer sind. Wird das verstanden, verschwinden auch die Vergleichspreise aus Discountern, die der Kunde immer sofort im Kopf hat“, meint Lukas Dehl.
An die Gärtnerei angeschlossen ist der Bio-Hofladen, den die Brüder im ersten Corona-Jahr eröffnet haben. „Die Leute durften ja damals nicht viel mehr als einkaufen, also kamen langsam immer mehr und äußerten auch Wünsche.“ Nach und nach erweiterte sich das Sortiment, auch der Ruf nach Kaffee und selbstgebackenem Kuchen wurde laut – und mit dem „Grünen Café“ erfüllt. Heute gibt es dort Brot, Gemüse, Eier, frische Säfte und vieles andere mehr. „Wir wollen zeigen, was regional alles möglich ist“, so Dehl.
Was die Besucher nicht sehen können: Auf dem mehrere tausend Quadratmeter großen Grundstück hinter dem Gebäude wird ebenfalls gearbeitet. „Wir überlassen dem Unternehmen Tiny Farms zurzeit Flächen, um Bio-Schnittblumen zu ziehen“, so Dehl. Eine andere Ecke dürfen drei ältere Damen als kleinen Garten nutzen, in dem sie Kartoffeln und anderes pflanzen. Möglich sei das auch dank des großzügigen Vermieters. „Er findet toll, was wir hier machen.“
Und auch hinterm Haus geht es nachhaltig zu. Das anfallende Wasser wird in extra ausgehobene Teiche geleitet. Unterschiedliche Komposthaufen wurden angelegt, wo auch der Kaffeesatz seinen Platz findet. Inzwischen bevölkern zahllose Insekten und Kleintiere das Areal, selbst ein Fuchs hat sich angesiedelt. Noch in Planung ist ein Selbsterntebereich mit Tomaten und Erdbeeren.
Das Hauptgeschehen wird sich aber auch in den kommenden Jahren im Gewächshaus abspielen. „Würden wir es ganz nutzen, wären wir die größten Kräuterproduzenten der Stadt. Das ist aber gar nicht unser Anspruch“, sagt Dehl. Er mag seine Arbeit, nicht zuletzt weil er etliche Monate im Jahr in Badehose bei 45 Grad arbeiten kann, wenn er will. Im Winter wird übrigens nur ein kleiner Teil des Glashauses für den Salatanbau geheizt. Für den Dezember hat Dehl eine Alternativnutzung gefunden. „Wir verkaufen regionale Weihnachtsbäume. Ich liebe Weihnachten“, so der 35-Jährige.
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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