100 Jahre Groß-Berlin
Oberbürgermeister Adolf Wermuth war der Gründungsvater
Wer den Kirchhof rund um die Schlosskirche Buch betritt, sieht liebevoll angelegte, gut gepflegte Grabstätten. Mittendrin jedoch liegt eine, die rein optisch nicht ins Bild passt. Keine Blumen, keine Dekoration, lediglich ein Grabstein. Spartanisch wirkt sie, diese letzte Ruhestätte eines Mannes, den nur die wenigsten kennen dürften, und der enorme Bedeutung für Berlin hat.
Auch Cornelia Reuter wusste nichts über Adolf Wermuth, als sie 2003 das Pfarramt in Buch übernahm. Inzwischen hat sie sich mit dem Leben des ersten Oberbürgermeisters von Groß-Berlin jedoch ausführlich beschäftigt. „Adolf Wermuth blieb immer seinen Prinzipien treu und hat dem Kaiser die Stirn geboten. Es ist sein Verdienst, dass wir heute dieses große Berlin haben“, sagt sie. Der 1. Oktober 1920 dürfte der wichtigste Tag in Wermuths Leben gewesen sein. Es ist der Tag, an dem er seine Mission als erfüllt betrachten kann, der Tag, an dem Groß-Berlin gegründet wird – mit dem Stadtgebiet, wie es mit nur wenigen Änderungen bis heute besteht. Durch die Zusammenführung dutzender umliegender Gemeinden wurde Berlin auf einen Schlag die nach Einwohnern drittgrößte Stadt der Welt mit Wermuth als erstem Oberbürgermeister.
Sein Amt hatte er bereits 1912 angetreten. Es folgten schwierige und chaotische Jahre, durch die Wermuth Berlin hindurchmanövrieren musste. Die Stadt war Ende des Jahrzehnts von den Folgen des Ersten Weltkriegs gezeichnet. Eine Hungersnot plagte die Bevölkerung. Deren Versorgung war Wermuth ein wichtiges Anliegen. In dieser Notsituation schaffte er es, auch die Gemeinden zu versammeln, die gegen eine Eingemeindung waren. Das gelang ihm durch die Einführung von Lebensmittelmarken, die im gesamten Großraum eingelöst werden konnten. „Ihm war klar, dass die Brotkarte für die Versorgung Berlins sehr wichtig ist. Die Brotkartengemeinschaft war sozusagen die Vorlage für Groß-Berlin“, erklärt Pfarrerin Cornelia Reuter. Große politische Unterstützung habe er dabei nicht gehabt. Wermuth gehörte keiner Partei an.
Geboren wurde er am 23. März 1855 in Hannover. Er studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten in Leipzig, Heidelberg und Göttingen. 1882 wurde er ins Reichsamt nach Berlin berufen. Immer weiter arbeitete er sich nach oben. In seinem Auftreten galt er als kompromisslos. So trat er im März 1912 als Staatssekretär aus der Reichsregierung zurück, nachdem seine Forderung nach einer Erhöhung der Erbschaftssteuer vom Reichskanzler abgelehnt wurde. Zwei Monate später wurde er als Nachfolger von Martin Kirschner zum Oberbürgermeister gewählt. „Er war ein einmaliger Charakter, der sicher auch seine Eigenheiten hatte“, meint Cornelia Reuter. Was seine Vorgänger nicht zu leisten imstande waren, erreichte Wermuth am Ende seiner Amtszeit: das alte Berlin mit dem Umland zu vereinigen. Dadurch konnten nach der Gründung Groß-Berlins etliche Großprojekte wie eine gemeinsame Strom- und Wasserversorgung und der Ausbau des Verkehrsnetzes erreicht werden. Wermuth jedoch war da schon nicht mehr am Steuerrad. Im November 1920 trat er als Bürgermeister zurück. Dass sich die bürgerlichen Parteien einen Streik der Berliner Elektrizitätsarbeiter für eine Attacke gegen ihn zunutze machten, hatte ihm zugesetzt.
Anschließend gab er seine Dienstwohnung im Schloss Buch, damals der Sommersitz der Oberbürgermeister, auf und zog nach Lichterfelde. 1927 – und damit vier Jahre nach seiner Frau Marie – starb er mit 72 Jahren. Sein Leichnam wurde nach Buch überführt, wo das Paar bis heute begraben liegt. Zur Liste der Ehrengräber gehört das Grab trotz mehrfacher Anträge von Cornelia Reuter bisher nicht, was die Pfarrerin nicht versteht. „Die Stadt Berlin hat sich nicht um das Grab gekümmert. Dabei ist Adolf Wermuth eine Persönlichkeit, derer sich Berlin nicht schämen muss.“ Laut Senatskanzlei soll es 2020 nun endlich in die Liste der Ehrengräber aufgenommen werden.
Autor:Philipp Hartmann aus Köpenick |
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