Lebensleistung wird neu bewertet
Robert-Rössle-Straße wird wohl umbenannt
In Berlin wird derzeit über die Umbenennungen zahlreicher Straßen diskutiert. Im Ortsteil Buch betrifft das vor allem die Robert-Rössle-Straße, an der sich unter anderem der international bekannte Biotech-Campus Buch befindet.
Robert Rössle (1876-1956) hat sich zwar als Leiter des Pathologischen Instituts der Charité einen Namen gemacht und war ein renommierter Wissenschaftler. Aber neueren Erkenntnissen zufolge habe er unmittelbar von der Politik der Nationalsozialisten profitiert. Deshalb beantragt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, dass das Bezirksamt die Umbenennung der Robert-Rössle-Straße vornehmen soll. In das Umbenennungsverfahren sollen die Eigentümerin der Straße, Anwohnerinnen und Anwohner sowie der für Namensgebungen zuständige Kulturausschuss der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) einbezogen werden. Der neue Name sollte an eine Frau erinnern, die sich um die Medizin verdient machte, so die Bündnisgrünen. „Es gibt viele gut geeignete Frauen, nach denen die Straße benannt werden kann“, sagt Hanna Wettig, eine der beiden Fraktionsvorsitzenden der Grünen. „Denkbar sind verdiente Forscherinnen und Ärztinnen aus Buch oder Opfer der Aktion T4. Wir werden uns für einen Namensfindungsprozess mit den Anwohnenden einsetzen und hoffen auf viele gute Vorschläge.”
Bereits vor gut drei Jahren hatte die bündnisgrüne Fraktion den Antrag gestellt, das Bezirksamt möge überprüfen, ob Robert Rössle ein aktiver Gegner der Demokratie und geistig-politischer Wegbereiter und Verfechter der nationalsozialistischen Ideologie und Gewaltherrschaft war und somit die Voraussetzungen für eine Umbenennung gegeben wären. Der Fachbereich Museum, mehrere Experten, Anwohner und Nachkommen von Opfern des Nationalsozialismus beteiligten sich an der darauffolgenden mehrjährigen Debatte. „Für uns hat sich ein klares Bild ergeben“, sagt Wettig. „Robert Rössle war zwar nie Mitglied der NSDAP, hat aber an oberster Stelle im nationalsozialistischen System mitgewirkt und davon profitiert. Seine wissenschaftliche Forschung wäre ohne die eliminatorische Verfolgungspolitik nicht möglich gewesen. Es ist absurd über so jemanden zu sagen, er habe nichts gewusst.”
Rössle sei Wegbereiter des
Nationalsozialismus
Robert Rössle leitete von 1929 bis 1948 das Pathologische Institut der Charité. Für seine Forschung sezierte er mehr als 8000 Menschen, meist ohne deren Einwilligung, so der bisherige Stand der Erkenntnisse. Da er Erbkrankheiten erforschte, profitierte er davon, dass er nach 1933 ganze jüdische Familien, die gemeinschaftlich Selbstmord begangen hatten, untersuchen konnte. In seinen Schriften trat er für Eugenik ein und forderte die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ in einem Lehrbuch. Die Gedanken der Eugenik führten letztendlich zum Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten und zur sogenannten Rassenhygiene, so die Bündnisgrünen. Aus ihrer Sicht lägen damit die Voraussetzungen für die Umbenennung der Straße vor: Robert Rössle sei aktiver Wegbereiter des Nationalsozialismus und Profiteur der Diktatur gewesen.
Vertreter der anderen BVV-Fraktionen weisen indes darauf hin, dass eine offizielle Neubewertung der Lebensleistung Rössles noch ausstehe. „Mit der Benennung einer Straße wird eine Person als Vorbild geehrt. Rössle ist jedoch kein Vorbild“, betont Wettig. Dass eine Würdigung durch die Benennung einer Straße nach ihm nicht gerechtfertigt sei, dem stimmt auch der Vorsitzende der Linksfraktion, Matthias Zarbock, zu. „Rössle hat die Menschlichkeit hinter die Wissenschaft gestellt“, sagt er. Deshalb könne er verstehen, dass die Grünen sich eine schnelle Entscheidung zur Umbenennung wünschen. Aber die BVV habe sich zu einem Verfahren verständigt. Deshalb entschieden sich die Verordneten, das Thema Umbenennung der Robert-Rössle-Straße und die nächsten Verfahrensschritte im zuständigen Ausschuss für Weiterbildung und Kultur zu besprechen.
Autor:Bernd Wähner aus Pankow |
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