"Die Chance" braucht Kleider und Fahrräder
"Ich sehe die Stoffe und Gürtel vor mir liegen, und in meinem Kopf entstehen Bilder von dem, was man daraus machen könnte. Dann setze ich mich an die Nähmaschine und fange an."Bevor Noura Mardinli dieses Talent entdeckte, hat sie vier Kinder großgezogen: Der älteste ist Gymnasiallehrer, der mittlere Banker, der jüngste Hotelier, und das Nesthäkchen, ein Mädchen, wird bald ihr Abitur ablegen. Nur die Mutter ist dabei auf der Strecke geblieben. Ungelernt steckt sie jetzt in einer "Maßnahme", wo sie lernen soll, pünktlich aufzustehen sowie für sich und andere Verantwortung zu übernehmen. Sie hat Glück. Mit diesem Ansinnen hat das Amt sie zu dem Verein "Die Chance" vermittelt, wo sie auf Projektleiterin Rosemarie Hahn traf, von der die 58-jährige Frau mit Tränen in den Augen voller Dankbarkeit spricht. "Ohne diese Frau wäre ich verzweifelt."
Noura Mardinli arbeitet im Projekt Kleiderhilfe. 15 Mitarbeiter, vorwiegend Frauen, nehmen hier Kleiderspenden an, bessern die Sachen auf und geben sie an Bedürftige direkt am Stieffring ab oder bringen sie zu Einrichtungen wie der Stadtmission, der Langen Tafel oder in Frauenhäuser. Nach den gleichen Prinzipien arbeitet dort ein zweites Projekt zur Aufarbeitung gespendeter Fahrräder. Dazu gehört eine kleine Gruppe, die im Bezirk unterwegs ist, um Schrottfahrräder aufzuspüren. Die Funde werden dem Ordnungsamt mitgeteilt. Das nimmt die gemeldeten Fahrräder in Verwahrung, um sie letztlich der Stadtreinigung zu übergeben, die für diese Entsorgung wiederum Geld bekommt.
Auch wenn dieses Projekt ohne bürokratische Schranken noch viel produktiver sein könnte, ist doch das unter den gegebenen Umständen Geleistete beachtlich: Die Kleiderspenden ruinieren weder die Textilbetriebe in Afrika noch bereichern sie Händler des Elends; sie kommen Bedürftigen im Bezirk unmittelbar zugute. Die wiederum erhalten keine Lumpen, sondern kostenlos sorgfältig aufgearbeitete, gebügelte und saubere Wäsche. Die Mitarbeiter bekommen Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten und manchmal werden auch Talente wie Noura Mardinli entdeckt.
Sie kam vor 30 Jahren aus Syrien nach Deutschland. Damals barg sie mit dem Körper im Keller ihres Hauses, auf das im Namen Allahs oder der Menschenrechte Bomben fielen, den Erstgeborenen. Auf Rat ihrer Verwandten flüchtete sie nach Deutschland, das sie nun mit ihren vier Kindern und Talenten bereichert.
Vorerst sind ihre Taschen und Kleider nur unter Nachweis der Bedürftigkeit werktags von 8 bis 13 Uhr am Stieffring 7 und auch am 5. Dezember beim sozialen Weihnachtsmarkt im Innenhof des Wilmersdorfer Rathauses kostenlos erhältlich.
Autor:Lokalredaktion aus Mitte |
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