Ringsiedlung Siemensstadt: Perle der modernen Baukunst

Im Atelier des Meisters: Hier, auf dem Dach eines seiner Mietshäuser, lebte Hans Scharoun höchstselbst. | Foto: Schubert
2Bilder
  • Im Atelier des Meisters: Hier, auf dem Dach eines seiner Mietshäuser, lebte Hans Scharoun höchstselbst.
  • Foto: Schubert
  • hochgeladen von Thomas Schubert

Charlottenburg-Nord. Ein Weltkulturerbe der Klassische Moderne, erklärt von einem Architekten: Thomas Krüger zeigte kürzlich, was es südwestlich der Jungfernheide zu sehen gibt. Im Hier und Jetzt mögen die Zeilen der Neuen Sachlichkeit als schlichte Wohnstadt dienen. Vor 90 Jahren waren sie eine Sensation.

In einem Flockenwirbel von Pappelsamen hockt ein Grüppchen von Kaninchen im Grün und mümmelt in Missachtung des zweiten Grüppchens, eines menschlichen, die saftigen Spitzen. Jene Jahre, als Kaninchen hier Fressfeinde fürchten mussten, sind vorbei. Heutzutage, sagt man sich in der Ringsiedlung Siemensstadt, heutzutage schlafen Kaninchen und Füchse zusammen in einem Bau.

Auch Thomas Krüger hat davon gehört. Und seine Zuhörer wissen noch nicht, ob sie es für einen Scherz halten sollen nach so viel fachlicher Information. Soeben sind der Architekturkenner und seine Begleiter am Ziel angelangt. Dies ist das Ende eines Rundgangs zwischen Baukunstwerken, die alltäglich wurden. Die aber nicht nur wegen drolliger Tiere vor der Haustür ein waches Auge verdienen, wie der Architekt zu erklären versucht.

An kaum einem anderen Ort in Berlin versammeln sich so viele Facetten der Neuen Sachlichkeit. Hier die schneeweißen Quader des Walter Gropius, dort die erdfarbenen Entwürfe Paul Rudolf Hennings und da die organisch-rundlichen Fassaden des Hugo Häring. Zusammen bildet das Ensemble ein Weltkulturerbe; deutsche Wohngehöfte, gleichrangig mit den ägyptischen Pyramiden. Was der Berliner Senat auf dem Tempelhofer Feld verwirklichen wollte - hier ist es betoniert: rund 3700 Wohnungen fürs Volk. Dazwischen: Licht, Luft und ein alter Baumbestand von majestätischem Wuchs. Außer den Baumkronen bauschte nichts über den Dächern. Krüger deutet nach oben. Von Schornsteinen keine Spur - geheizt wurde in einem zentralen Kesselhaus, wo heute höchstens die Bewohner in einem Mieterbüro der GSW Dampf ablassen. Einzelne Kamine aber gab es nicht: "Hier galt das Ideal der rauchlosen Stadt."

Nach dem Krieg, als ein weiterer Siedlungsteil Gestalt annahm, qualmte es dann sehr wohl. Es rauchten immer mehr Auspuffrohre. "Anders als in den 20er-Jahren war das Auto in den 50ern schon essenziell", sagt Krüger. Man wollte den Wagen nahe wissen, in Garagen zwischen den ersten Wohnriegeln des Wiederaufbaus. Was sich der oberste Baumeister Hans Scharoun bei dieser Erweiterung der Alt-Siedlung dachte, das droht die Vegetation zwischen den Gehöften zu überwuchern. Gemeint war das 50er-Jahre-Städtchen für 650 Bewohner als Beispiel bester Ausnutzung des Sonnenlichts. 650 Menschen - "das ist das Maß, in dem sich noch Solidarität entwickeln kann", weiß der Fachmann. In den späteren Großsiedlungen sei das konzeptbedingt unmöglich.

Und Scharoun selbst? Der lebte in einem Atelier auf dem Dach. So war das damals gedacht: Unten hausen die Arbeiter. Darüber brütet der Denker. Von hier oben bestens sichtbar: die Backsteinfabriken von Siemens nebst weißem Panzerkreuzer-Haus. Architektur, angelehnt an den Schiffbau, verkündete den Fortschrittsglauben. Glattflächig, schnörkellos, akkurat. So hatte ein Haus zu sein, wenn Scharoun die Feder führte.

Nüchtern geht es hier noch immer zu. Etwas verwildert, vielerorts angegraut, aber friedlich. Der Füchse jagen also Kaninchen nicht mehr - zu beschwerlich, mutmaßt Krüger: "Die gehen lieber zum Imbiss und fressen Döner."

Thomas Schubert / tsc
Im Atelier des Meisters: Hier, auf dem Dach eines seiner Mietshäuser, lebte Hans Scharoun höchstselbst. | Foto: Schubert
Das war mal Zukunft: Architekt Thomas Krüger schätzt den Wohnungsbau der Klassischen Moderne für seine Fokussierung auf den Menschen. | Foto: Schubert
Autor:

Thomas Schubert aus Charlottenburg

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

Eine/r folgt diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 180.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom baut Netz aus
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Ab Dezember starten die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Borsigwalde, Friedenau, Frohnau, Hakenfelde, Lichtenrade, Lübars, Mariendorf, Neu-Tempelhof, Reinickendorf, Schöneberg, Spandau, Tegel, Waidmannslust, Wilhelmstadt und Wittenau. Damit können weitere rund 180.000 Haushalte und Unternehmen in Berlin einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2030 plant...

  • Borsigwalde
  • 11.12.24
  • 2.676× gelesen
BauenAnzeige
2024 war Richtfest für die Grundschule in der Elsenstraße. | Foto: SenBJF
7 Bilder

Berliner Schulbauoffensive 2016-2024
Erfolgsgeschichte für unsere Stadt

Die Berliner Schulbauoffensive ist nach wie vor eines der zentralen Projekte unserer Stadt. Mit aktuell mehr als 44.000 neu entstandenen Schulplätzen setzt die Offensive ihre Ziele erfolgreich um. So wurden von 2016 bis 2023 bereits 5 Milliarden Euro in moderne Bildung investiert. Auch in den kommenden Jahren wird das derzeit größte Investitionsvorhaben für Schulen fortgesetzt. Die Offensive geht weiter und führt zu einer dauerhaft verbesserten schulischen Umgebung für unsere Schülerinnen und...

  • Charlottenburg
  • 13.12.24
  • 2.019× gelesen
  • 1
WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 84.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom vernetzt
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Aktuell laufen die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Berlin auf Hochtouren. Neue Arbeiten starten nun auch in Alt-Hohenschönhausen, Fennpfuhl, Friedrichsfelde, Friedrichshain, Karlshorst, Kreuzberg, Lichtenberg und Rummelsburg. Damit können nun rund 84.000 Haushalte und Unternehmen einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2023 plant die Telekom insgesamt...

  • Alt-Hohenschönhausen
  • 11.12.24
  • 2.643× gelesen
KulturAnzeige
Blick in die Ausstellung über den Palast der Republik. | Foto: David von Becker
2 Bilder

Geschichte zum Anfassen
Die Ausstellung "Hin und weg" im Humboldt Forum

Im Humboldt Forum wird seit Mai die Sonderausstellung „Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart“ gezeigt. Auf rund 1.300 Quadratmetern erwacht die Geschichte des berühmten Palastes der Republik zum Leben – von seiner Errichtung in den 1970er-Jahren bis zu seinem Abriss 2008. Objekte aus dem Palast, wie Fragmente der Skulptur „Gläserne Blume“, das Gemälde „Die Rote Fahne“ von Willi Sitte, Zeichnungen und Fotos erzählen von der damaligen Zeit. Zahlreiche Audio- und Videointerviews geben...

  • Mitte
  • 08.11.24
  • 3.550× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.