Museum Europäischer Kulturen präsentiert 1000 Taschentücher über das Gedenken an die Opfer der Jugoslawienkriege

Remzija Suljić aus Srebrenica hat allein rund 100 Taschentücher  zum Gedenken an Angehörige und Nachbarn bestickt. | Foto: Ulrike Martin
8Bilder
  • Remzija Suljić aus Srebrenica hat allein rund 100 Taschentücher zum Gedenken an Angehörige und Nachbarn bestickt.
  • Foto: Ulrike Martin
  • hochgeladen von Ulrike Martin

Dahlem. Ein einziges Exponat steht im Mittelpunkt der aktuellen Sonderpräsentation im Museum Europäischer Kulturen (MEK): Die „Rolle des Gedenkens“. Sie ist 47 Meter lang und besteht aus kleinen Stoffquadraten – „1000 Tücher gegen das Vergessen“.

Die „Rola Sjećanja“ erinnert an die Toten des Bürgerkrieges im ehemaligen Jugoslawien 1991 bis 1995. Trauriger Höhepunkt war 1995 das Massaker von Srebenica in Bosnien, bei dem 8000 Männer und Jungen von Serben ermordet wurden. Es gilt als das größte Massaker seit Ende des Zweiten Weltkrieges.

Blumen und Blätter, Wolken und Vögel schmücken die Tücher. Frauen bestickten sie in Erinnerung an ihre Männer, Angehörigen und Nachbarn. Die Tücher tragen die Namen und Daten der Getöteten sowie die Orte, an denen ihre Leben abrupt beendet wurden. Oft genug waren die Opfer erschreckend jung: Dudić Paso wurde gerade mal 20, Kasim Emir 23 Jahre alt.

„Jedes Tuch hat eine Geschichte, dahinter steckt ein Mensch, den ich lebend kannte und der durch Bomben, Granaten oder Hunger ums Leben kam“, sagt Remzija Suljić.“ Von den knapp 1000 Tüchern hat sie allein fast 100 bestickt. Sie hat die dreieinhalbjährige Belagerung Srebrenicas überlebt. Nachdem die Rola im MEK aufgespannt war und sie daran entlang gegangen ist, kamen die Erinnerungen zurück. „Ich werde das alles nie vergessen können“, sagt Remzija.

Begzada Alatović hat ein Taschentuch für ihren im Krieg ums Leben gekommenen Mann bestickt. Das erste Mal, dass sie überhaupt etwas gestickt hat. „Man schafft es, sich mit der Zeit von den schlimmen Erinnerungen zu befreien“, sagt sie. „Aber es gibt immer noch Vermisste, die bisher nicht gefunden wurden.“ Begzada wünscht sich, die Rola könnte weltweit gesehen werden – als Botschaft gegen den Krieg.

Im Berliner Verein südost EuropaKultur fanden viele kriegstraumatisierte Menschen aus dem Westbalkan Zuflucht. Sie erhielten psychologische Hilfe, zu der auch gestalterische Arbeiten gehörten. In diesem Rahmen entwickelte die Schweizer Künstlerin Anna S. Brägger das Konzept der Rola. Sie fügte die Taschentücher zu großen Stoffbahnen zusammen und schuf damit ein mobiles Denkmal, das über die 47 Meter hinaus weiter wachsen soll. „Die Rolle ist auch ein Mahnmal, sie soll das Thema Traumatisierung ins öffentliche Bewusstsein rücken“ sagt Brägge.

Zur Ausstellung gehören Stoffbahnen, bedruckt mit Daten und Fakten zum Jugoslawienkrieg. In Audiostationen können Besucher die stickenden Frauen hören, die von ihren schmerzlichen Erinnerungen berichten, aber auch vom inneren Frieden, den sie bei der Arbeit finden konnten.

Das MEK zeigt die 1000 Tücher gemeinsam mit der Stiftung Überbrücken. Diese ist aus dem Verein südost Europa Kultur hervorgegangen und hat das Ziel, Menschen aus früheren und gegenwärtigen Kriegen zu helfen, ihre Traumata zu überwinden.

Seit das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst wegen des Umzugs ins Humboldt-Forum Anfang Januar geschlossen wurden, ist das Museum Europäischer Kulturen ein Solitär am Standort Dahlem.

Die Präsentation der Rola ist die erste Ausstellung als MEK. Der kurze Name gehört zum neuen Erscheinungsbild, wie Direktorin Elisabeth Tietmeyer erläutert. Es gibt ein Leitsystem aus roten Infotafeln, die den Weg vom U-Bahnhof Dahlem aus zeigen. „Wir müssen uns neu erfinden.“, sagt Tietmeyer. „Eine spannende Herausforderung.“ uma

„1000 Tücher gegen das Vergessen“, bis 25. Juni im MEK, Arnimallee 25, Öffnungszeiten: Di bis Fr 10-17 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr. Eintritt kostet acht, ermäßigt vier Euro. Mehr Infos unter  266 42 42 42 und www.smb.museum.de.
Autor:

Ulrike Martin aus Neukölln

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

20 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Das Team von Optik an der Zeile freut sich auf Ihren Besuch. | Foto: privat

Optik an der Zeile
16. Brillenmesse vom 5. bis 7. Dezember 2024

40 Jahre Augenoptik-Tradition im Märkischen Viertel, das feiern wir immer noch in diesem Jahr 2024. Feiern Sie mit uns und profitieren Sie von unseren Jubiläumsangeboten. Kommen Sie zu uns und staunen Sie über die Vielfalt der Angebote. Anlässlich unserer 16. Brillenmesse vom 5. bis 7. Dezember 2024 bieten wir Ihnen die gesamte Kollektion namhafter Designer. Sie können aus einer riesigen Auswahl Ihre Brille finden. Mit vielen schönen Brillengestellen und den Brillengläsern von Essilor und...

  • Märkisches Viertel
  • 13.11.24
  • 782× gelesen
KulturAnzeige
Blick in die Ausstellung über den Palast der Republik. | Foto: David von Becker
2 Bilder

Geschichte zum Anfassen
Die Ausstellung "Hin und weg" im Humboldt Forum

Im Humboldt Forum wird seit Mai die Sonderausstellung „Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart“ gezeigt. Auf rund 1.300 Quadratmetern erwacht die Geschichte des berühmten Palastes der Republik zum Leben – von seiner Errichtung in den 1970er-Jahren bis zu seinem Abriss 2008. Objekte aus dem Palast, wie Fragmente der Skulptur „Gläserne Blume“, das Gemälde „Die Rote Fahne“ von Willi Sitte, Zeichnungen und Fotos erzählen von der damaligen Zeit. Zahlreiche Audio- und Videointerviews geben...

  • Mitte
  • 08.11.24
  • 1.059× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Wie Sie Rückenschmerzen durch fortschrittliche Behandlungskonzepte in den Griff bekommen, erfahren Sie am 3. Dezember. | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Ihre Optionen bei Beschwerden
Moderne Therapien an der Lendenwirbelsäule

Um "Moderne Therapien an der Lendenwirbelsäule – Ihre Optionen bei Beschwerden" geht es beim Patienteninformationsabend am Dienstag, 3. Dezember. Rückenschmerzen, Ischias-Beschwerden und Bewegungseinschränkungen im Bereich der Lendenwirbelsäule gehören zu den häufigsten orthopädischen Problemen. An diesem Infoabend erhalten Sie Einblicke in aktuelle Therapiemöglichkeiten und fortschrittliche Behandlungskonzepte. Unser Wirbelsäulenspezialist Tim Rumler-von Rüden erklärt, wie moderne Technologien...

  • Reinickendorf
  • 07.11.24
  • 1.031× gelesen
  • 1
WirtschaftAnzeige
Für rund 105.000 Haushalte im Bezirk Lichtenberg baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom
2 Bilder

Telekom macht's möglich
Schnelles Glasfasernetz für Lichtenberg

Aktuell laufen die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes im Bezirk Lichtenberg auf Hochtouren. Damit können rund 105.000 Haushalte und Unternehmen in Alt-Hohenschönhausen, Fennpfuhl, Friedrichsfelde, Karlshorst, Lichtenberg und Rummelsburg einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Schnell sein lohnt sich Wer jetzt einen Glasfaser-Tarif bei der Telekom beauftragt, gehört...

  • Bezirk Lichtenberg
  • 30.10.24
  • 1.382× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.