Schüler mit und ohne Handicap lernen am Barnim-Gymnasium echtes Miteinander
"Ich bin selbstständig, man muss mir nicht unbedingt helfen", erklärt Felix und streckt seinen Rücken noch ein bisschen gerader. Viele Fremde seien "überfürsorglich", sagt er lachend. Nicht so seine Mitschüler. Er fühlt sich als einer von ihnen, auch wenn er als einziger in der Klasse im Rollstuhl sitzt.
Einfach ist für Felix und die anderen jungen Rollstuhlfahrer trotzdem nicht alles: "Die Wege an unserer Schule können manchmal echt lang sein", sagt Monique. In der Pause, erzählt sie, bilden andere Schüler schon mal eine Schneise, damit sie durchkommt. "Das machen die von selbst", sagt sie. Berührungsängste oder "Blicke", wie Monique es nennt, gibt es nicht.
Insgesamt besuchen das Barnim-Gymnasium etwa 1100 Schüler, 50 von ihnen haben ein Handicap, manche sind sichtbar, manche unsichtbar. Sie reichen von Diabetes über Depression bis zur Muskeldystrophie.
"Man schließt uns nicht aus", sagt Felix, der an jedem Unterrichtsfach teilnimmt, selbst am Sport. "Klar, beim Turnen kann ich schlecht mitmachen, aber andere Übungen werden auf mich abgestimmt", sagt er. Oder er setzt Köpfchen statt Muskelkraft ein, filmt Mitschüler beim Hochsprung, analysiert Bewegungsabläufe und schreibt darüber einen Aufsatz. Umgekehrt lernen seine Mitschüler schon mal den Umgang mit dem Rollstuhl, wenn sie beim Workshop des Vereins Pfeffersport "Wheelsoccer" kennen lernen - Fußball auf Rädern.
"Wir organisieren unsere Schule nach den Wünschen und Bedürfnissen der Schüler mit Handicaps und deren Eltern. Das System wird an die Schüler angepasst, nicht umgekehrt", so Schulleiter Detlef Schmidt-Ihnen. Seit 1993 leitet er das Gymnasium, seitdem gibt es hier Inklusion.
Davon sind die meisten Berliner Schulen weit entfernt, obwohl die 2009 von Deutschland ratifizierte UN-Behindertenrechtskonvention eine "Inklusive Schule" fordert. Doch wo Inklusion gelebt werden will, müssen zuerst bürokratische und andere Hürden genommen werden: Viel Papierkram ist zu erledigen, die Schule braucht besonders geschultes Personal, eine andere Ausstattung, und sie muss bauliche Mindeststandards erfüllen.
Selbst am Barnim-Gymnasium ist nicht alles perfekt, Improvisation ist Alltag. So gibt es zwar Fahrstühle, aber keine Spiegel, die es den Rollstuhlfahrern erleichtern, rückwärts hinauszufahren. Schmidt-Ihnen nennt weitere Beispiele: "Unsere Toiletten und die Brandschutztüren im Foyer sind behindertenfreundlich, aber nicht behindertengerecht."
In Sachen Fachkräfte blieben ebenfalls Wünsche offen. Sogenannte Schulhelfer unterstützen Schüler, gehen ihnen bei Bedarf zur Hand oder begleiten sie zur Toilette. "Wir haben einen Bedarf an 144 Stunden, in denen wir die Helfer bräuchten. Aktuell werden uns 108 Stunden bewilligt", so der Schulleiter. Auch der Fahrdienst müsste flexibler werden. Gehen andere Schüler bei Stundenausfall oder Hitzefrei einfach nach Hause, warten Felix und Monique schon mal stundenlang, bis sie abgeholt werden. "Denn das muss ja immer Tage vorher angemeldet werden", ärgert sich Felix.
Für Schmidt-Ihnen gibt es auch Grenzen der Inklusion. "Es geht nicht darum, sie um jeden Preis zu verwirklichen. Inklusion hängt auch vom Handicap ab und davon, ob für den Betreffenden eine schulische Unterstützung ausreicht oder Therapien notwendig sind. Therapien können nur an einem Förderzentrum stattfinden."
In Lichtenberg gibt es laut Senatsverwaltung 1946 Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Die wenigsten jedoch entscheiden sich für eine Regelschule. Mehr als 1100 von ihnen besuchen ein Förderzentrum. "Viele mit schweren Handicaps brauchen diese Schulen als Schutzraum", weiß Schmidt-Ihnen. "Andererseits ist es das Recht jedes Schülers, Erfahrungen außerhalb dieser Schutzräume zu sammeln."
Der Erfolg in der Schule habe oft überhaupt nichts mit dem Handicap zu tun. Das Ziel des Barnim-Gymnasiums sei deshalb nicht nur Inklusion, sondern vor allem Exzellenz, so Schmidt-Ihnen.
Seit über zehn Jahren hat die Schule deshalb etliche Partner in der Wirtschaft, die mathematisch-naturwissenschaftliche Gymnasien fördern. Außerdem kooperiert man mit universitären Einrichtungen wie der Humboldt-Universität oder der Hochschule für Technik und Wirtschaft.
Autor:Karolina Wrobel aus Lichtenberg |
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