Charterflug in die Vergangenheit
Ausstellung erinnert an das Besuchsprogramm für vertriebene jüdische Mitbürger

Mehr als 40 Jahre existierte in Berlin ein besonderes Besuchsprogramm. | Foto:  Thomas Frey
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  • Mehr als 40 Jahre existierte in Berlin ein besonderes Besuchsprogramm.
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Es gibt Bilder aus der Spandauer Kindheit von Ilse und Lore Pieck. Die beiden 1920 und 1921 geborenen Mädchen sind darauf zusammen mit ihrer Mutter im Stabholzgarten zu sehen oder mit dem Kindermädchen vor ihrem Wohnhaus am Lindenufer. Die Fotos strahlen ein Familien-Idyll aus, das 1933 endete.

Wie alle jüdischen Mitbürger erlebten die Schwestern und ihre Eltern danach Ausgrenzung und Willkür. 1939 wurden die Mädchen mit einem Kindertransport nach England geschickt. Die Eltern emigrierten kurz darauf. 1940 konnte die Familie in die USA einwandern und ließ sich in Chicago nieder. Beide Schwestern heirateten später und hatten Kinder. Ilse in den Vereinigten Staaten, Lore in Israel.

46 Jahre später kehrten sie zum ersten Mal zurück an den Ort ihrer Kindheit. Möglich wurde das durch eine Initiative, die seit 1969 im damaligen West-Berlin existierte. Sie lud vor allem einstige jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger ein, ihre alte Heimat zu besuchen. Das Programm gab es bis zum Jahr 2010, es wurde von mehreren tausend Menschen angenommen.

Unter dem Titel "Charterflug in die Vergangenheit" erinnert eine Ausstellung im Jugendzentrum "Klubhaus Westerwaldstraße" an diese Initiative. Die Gedenkstätte Deutscher Widerstand hat zusammen mit der Senatskanzlei die Schau konzipiert. Sie wurde von der Jugendgeschichtswerkstatt extra für Spandau um Lebensgeschichten von Menschen aus dem Bezirk ergänzt. Zu ihnen gehörten neben Ilse und Lore Pieck auch Frederic Zeller, geboren 1924. Er nahm 1982 am Besuchsprogramm teil. Frederic Zeller flüchtete als Jugendlicher 1938 in die Niederlande, kam von dort nach Großbritannien, lebte später in den USA. Seine damaligen Erlebnisse hat er später in dem Buch "Als die Zeit zu Ende ging - Kindheit im Dritten Reich" verarbeitet. Frederic Zellers Eltern wurden im Holocaust ermordet. Vor ihrem Wohnhaus in der Havelstraße 20 erinnern heute zwei Stolpersteine an sie.

Neben mehreren Biografien erzählt die Ausstellung auch vom Entstehen der Einladungsinitiative. Sie war unter der Ägide des damaligen Regierenden Bürgermeisters Klaus Schütz (SPD) ins Leben gerufen worden. Den Eingeladenen sollte vermittelt werden, dass sie nicht vergessen sind. Und bei ihnen vielleicht auch einige positive Erinnerungen wachrufen, an die Stadt, die einmal ihr Zuhause war.

Nicht alle Angesprochenen nahmen das Angebot an. Andere brauchten sehr lange, bis sie sich dazu entschlossen. Erst nach dem Tod ihres Mannes wäre ihr diese Visite möglich gewesen, berichtete Margot Friedländer, als sie Berlin 2003 mit über 80 Jahren das erste Mal besuchte. Bei ihr blieb es aber nicht bei einem Charterflug. Im Alter von 90 Jahren kehrte Margot Friedländer nach Berlin zurück und engagiert sich seither aktiv für das Gedenken an die Zeit des Nationalsozialismus und seiner Opfer, zum Beispiel als Zeitzeugin bei Veranstaltungen in Schulen. Am 5. November kann Margot Friedländer ihren 100. Geburtstag feiern.

Die Ausstellung wendet sich nicht zuletzt an Jugendliche und wird daher auch in einem Jugendzentrum gezeigt wird. Anknüpfungspunkte gibt es schon deshalb, weil viele der porträtierten Personen sehr jung waren, als sie aus Deutschland fliehen mussten. Zu erfahren ist auch, welche Länder den Menschen damals Exil boten. Neben Großbritannien und den Vereinigten Staaten war das unter anderem die Türkei. Eine Karte zeigt, woher die Teilnehmer an dem Besuchsprogramm anreisten. Viele kamen aus den USA oder aus Israel, aber auch aus Lateinamerika, Asien, Australien.

Leider fehlen gerade bei den Spandauer Beispielen Hinweise und Erzählungen, wie die Besucher ihre Begegnung mit der Vergangenheit erlebt, vielleicht auch verarbeitet haben. Sie können heute dazu nicht mehr befragt werden. Frederic Zeller starb 1994. Lore Pieck bereits 1989, ihre Schwester Ilse 2008.

Die Ausstellung im Klubhaus, Westerwaldstraße 13 ist noch bis zum 4. November zu sehen. Die Öffnungszeiten sind Montag bis Freitag von 10 bis 19 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

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