Anwohner schätzen ihren Kiez und engagieren sich
Für Tülay Yavuz gibt es einen immer wiederkehrenden Termin. Mittwochs gegen 15 Uhr geht sie in das Untergeschoss des Gemeindehauses der Zufluchtgemeinde, direkt an dem Platz, der an der Westerwaldstraße von Kirche, Klubhaus und Stadtteilbibliothek gebildet wird. Die gebürtige Türkin lebt mit drei Kindern im Falkenhagener Feld.
In der Kleiderkammer "Hemd und Hose", Westerwaldstraße 16/18, kauft sie regelmäßig Kleidung für eher symbolische Beträge. Denn die 40-Jährige muss jeden Cent zweimal umdrehen. Sie ist auf Arbeitssuche. Gebäudereinigerin oder auch Kassiererin, auf einen solchen Job hofft die Spandauerin, die keine Berufsausbildung hat.
Vor gut zwei Jahren kam Tülay Yavuz aus Frankfurt am Main nach Berlin, um ihren Eltern nahe sein zu können, die in Moabit leben. Sie fand gleich eine Wohnung im Falkenhagener Feld, und sie möchte hier auch nicht wieder weg, nicht nur wegen der Kleiderkammer: "Meine Kinder haben hier Freunde gefunden, das möchte ich nicht zerstören", sagt sie.
Wenn Tülay Yavuz in die Kleiderkammer kommt, hat Renate Steffe die Kleidungsstücke sortiert, die hier regelmäßig abgegeben werden. Die ehemalige Setzerin beim Spandauer Volksblatt organisiert diese Einrichtung, die es seit Februar 2012 gibt. Die Helfer sehen nach, wie gut die gespendeten Stücke sind und sortieren sie. Angeboten wird nur, was auch wirklich guten Gewissens an andere weitergereicht werden kann.
Auch Renate Steffe fühlt sich wohl im Falkenhagener Feld, obwohl sie dessen Veränderung registriert. Die Kleiderkammer selbst ist ein Zeichen dafür, dass die Armut im Kiez zunimmt. Aber die Menschen reagieren nicht nur mit dem Ruf nach staatlicher Hilfe, sondern auch mit bürgerschaftlichem Engagement.
Wie Marlies Kohlmorgen, die seit 30 Jahren im Falkenhagener Feld lebt und in der Kirchengemeinde lange in Bastel- und Töpfergruppen mitmachte. Seit März hilft sie in der Kleiderkammer.
Dort treffen dann die Menschen aufeinander, die sehr günstig einkaufen müssen, und die, die das möglich machen. Wie Ursula und Wilhelm Kleebank, die an diesem 12. März fast zeitgleich mit Tülay Yavuz in die Gemeinderäume kommen. Die Eltern des Spandauer Bürgermeisters Helmut Kleebank (SPD) leben schon seit 64 Jahren im Kiez. In die Kleiderkammer kommt das Paar, um Spenden vorbeizubringen. Auch sie sehen die negativen Veränderungen, glauben aber, dass sich das Gegensteuern lohnt.
Als zum Beispiel in dem markanten Wohnhochhaus an der Westerwaldstraße 1 Vandalismus zunahm und sich Mieter verunsichert fühlten, richtete die Wohnungsbaugesellschaft GSW einen Conciergeposten ein, sogar mit mehreren Mitarbeitern. Da es sich dabei jedoch um eine Maßnahme des Jobcenters handelte, lief dieser Service irgendwann wieder aus. Mittlerweile ist zumindest tagsüber immer ein Hausmeister anwesend. Wilhelm Kleebank fände es gut, wenn ein ähnlicher Service für ganze Häusergruppen im Kiez geschaffen würde.
Dass dieser Kiez eine Zukunft hat, zeigt sich für die Kleebanks am Beispiel einer aus Westdeutschland zugezogenen Nachbarin: "Die ist ganz bewusst hierher gekommen, weil man es im Alter schätzt, wenn man alles zentral beisammen hat: Einkaufsmöglichkeiten, Ärzte, aber auch Grün." Und vom besagten Hochhaus einen weiten Blick über Berlin.
Westerwaldstraße: Hier fühlen sich viele Spandauer heimisch
Anwohner schätzen ihren Kiez und engagieren sich
Autor:Christian Schindler aus Reinickendorf |
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