Westerwaldstraße: Hier fühlen sich viele Spandauer heimisch

Edeltraud Balzereit ist mit der Großsiedlung "alt geworden". Sie kam 1965 hierher. | Foto: Kiefert
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Falkenhagener Feld. In einer Serie stellen wir ab sofort einzelne Spandauer Kieze vor. Wir berichten von spannenden Geschichten und dem Lebensgefühl der Menschen, die dort wohnen. Heute starten wir mit der Westerwaldstraße.

Die Straße ist kein mondäner Einkaufsboulevard und auch kein Szenekiez. Sie ist Wohnviertel und Arbeitsort für ganz gewöhnliche Menschen. Edeltraud Balzereit kam vor 49 Jahren in den Kiez. Die Neubauten mit ihren lichten, luftigen Wohnungen lockten 1965 zahlreiche Familien in die Großsiedlung. Auch Edeltraud Balzereit und ihre drei Kinder wurden hier heimisch. Heute gehört die 79-Jährige zu den Bewohnern, die mit ihrer Siedlung "alt" geworden sind. "Wegziehen? Nein, das wollte ich nie. Warum auch?"

Edeltraud Balzereit hat hier alles, was sie braucht und was sie mit dem Fahrrad bequem erreicht. Den Supermarkt, die Bibliothek, den Blumenladen und den Friseur, die Kirche, den Stadtwald und den Kiesteich. Was andere "Betonstadt" oder "Schlafstadt" nennen, ist für Edeltraud Balzereit "ihr Kiez", den sie auf keinen Fall missen will. Obwohl sich mit den Jahren vieles verändert hat.

Mit dem Fall der Mauer kam die Wende auch in den Kiez. Bewohner zogen aus, neue kamen nach. Den türkischen Migranten, die seit den 1970er-Jahren in den Kiez kamen, folgten nun Russlanddeutsche. Heute hat jeder Zwölfte im Quartier keinen deutschen Pass. Rund 42 Prozent haben einen Migrationshintergrund.

Die Erwerbslosigkeit ist hoch. Immer mehr Bewohner sind auf Transferleistungen angewiesen. Auch deshalb hängt der Kiez seit Jahren am Fördertropf des Landes.

Zu spüren bekommt das Ingelore Hemsen. Seit 1986 gehört ihr der Blumenladen am Quartiersplatz. Viele ihrer Stammkunden sind längst weggezogen, das Geschäft läuft schlecht. "Ich würde den Laden sofort aufgeben, wenn ich könnte", sagt die Floristin. Der jahrelange Umbau des Quartiersplatzes hat ihr hohe Umsatzeinbußen beschert. Und wofür? "Überall Beton, schön ist der nicht", sagt Ingelore Hemsen. Was sie an ihrem Kiez noch schätzt? "Eigentlich nichts", meint sie. "So familiär wie früher ist es hier nicht mehr."

Auch für Verena Brandt hat sich der Kiez verändert - zum Negativen. "Die Leute sind gleichgültig geworden, kaum ein höfliches Wort, und schmutzige Ecken gibt es hier auch." Brandt kam vor 33 Jahren in den Kiez. Heimisch sei hier aber nie geworden, erzählt sie. Es ist die Gewohnheit, die sie hier hält. Die bezahlbare Wohnung und ihr Friseurgeschäft.

In der benachbarten Siegerland-Grundschule ist derweil der Unterricht aus. Mütter eilen über den Platz, Autos fahren vor und wieder weg. Nur langsam erwacht die Straße, wird es lebendig unter den ergrauten Hochhausfassaden. Im Klubhaus wartet Ayse Toroz auf ihre Tochter Sena Nur. Die Fünfjährige tanzt im Ballettkurs. Zweimal die Woche. Ihre Mutter ist 31 Jahre alt, ihr kleiner Bruder Serdar (3). Die Familie zog vor 15 Jahren in den Kiez und will hier nicht mehr weg. Wegen der guten Freunde, der vielen Angebote für Familien und weil sich die Kinder hier wohlfühlen. "Die Westerwaldstraße ist unsere Heimat geworden", sagt Ayse Toroz.

Im Klubhaus spielt sich auch sonst das öffentliche Leben ab. Vor allem Jugendliche schätzen ihn als ungezwungen Treffpunkt. So wie Jan Rosenbaum. Der 21-Jährige lebt zwar nicht im Kiez, man trifft ihn aber vier Tage in der Woche hier. Jan spielt Schlagzeug in der Musikband "Beside the Woods". Und er hilft mit kleinen Tischlerarbeiten im Klubhaus aus. Freunde hat er hier schnell gefunden. Und einen Ort, an dem er der Alltagshektik entfliehen kann. Der "Kiez", sagt Jan, bezeichnet auch das Lebensgefühl in einer Großstadt. "Und das muss nicht immer der Trubel sein. Wenn es ruhig ist, gefällt mir das auch", sagt er. Dann überlegt er kurz: "Naja, Bars fehlen mir hier schon." Aber bis nach Charlottenburg oder Mitte ist es so weit ja nicht.

Ulrike Kiefert / uk
Autor:

Ulrike Kiefert aus Mitte

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