Reißt das Gerüst endlich weg und baut das Gebäude wieder auf!
Fetzen flattern im Sommerwind. Karl Friedrich Schinkels Bauakademie!

Die Fetzen flattern im Sommerwind: Rest-Attrappe der simulierten Bauakademie am historischen Ort. Links: Auswärtiges Amt, rechts Baustellenzaun Humboldt Forum. 20.7.2019 | Foto: Anne Schäfer-Junker
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In der an Französisch Buchholz angrenzenden Beuthstraße, liegt in Niederschönhausen die “Schinkel-Veranda” des ehemaligen „Schweizerhauses“ - ein repräsentatives “Kammerstück” klassizistischer Gestaltungskunst Karl Friedrich Schinkels für Bankdirektor Brose gebaut (LDA). Und am Werderschen Markt in der historischen Mitte wird die „So viel Schinkel wie möglich-Bauakademie“ ‚wieder’errichtet. Schinkels Baukunst vermissen wir hier im Norden Berlins schmerzlich. Den Lustgartenomnibus, mit dem Fontane bis Französisch Buchholz hätte fahren können, ebenfalls.
Die Fetzen flattern im Sommerwind
Wenn man das seit 15 Jahren simulierte Gebäude der Schinkelschen Bauakademie am Werderschen Markt vor Augen hat, wünschte man sich es käme ein Zauberer daher und wandelte dieses Schreckensszenario in den genialen Terrakottabau von Karl Friedrich Schinkel um. Schinkels Bauakademie gilt als Ikone des Beginns des industriellen, modernen Bauens. Jeder und Jede an Architektur Interessierte hat das Bild der quadratischen Kubatur mit den Terrakotta-Fassaden neben der Friedrichswerderschen Kirche im Kopf und vor Augen. 2000 errichtete der Bildungsverein Bautechnik mit Entwürfen von Horst Draheim originalgetreu eine Ecke der Schinkelschen Bauakademie. Die Neue Bauakademie Schinkels als Gebäude für eine Lehranstalt darf als Kunstwerk und Symbol des neuen Bauens bezeichnet werden. Mithin wurde sie ein Kultort im 20. Jahrhundert, bis das, in der DDR teils schon wieder aufgebaute Gebäude aus einer Kriegsruine 1962 aus politischen Gründen abgerissen wurde.

Reißt das Gerüst endlich weg und baut das Gebäude wieder auf!
Die Kritik an der technischen Reproduzierbarkeit von Kunstwerken, wie sie Walter Benjamin bspw. zum Film und zur Fotografie als Zeitkritik 1936 in der Zeitschrift für Sozialkritik untersuchte, ja die Zusammenhänge menschlichen Wahrnehmungsvermögens sezierte, ist im Bildungsbürgertum und der modernen Literatur sehr bekannt.

Weniger bekannt ist, dass man heute ausgerechnet in der historischen Mitte Berlins dazu ein ungeheuer aktuelles Anschauungsmaterial der Zögerlichkeit und des Unvermögens der Umsetzung dieser Erkenntnisse finden kann. Allein dies ist der Skandal und hat nur mit der Lernunfähigkeit des Menschen schlechthin zu tun. Die Fetzen samt Gerüst der seit 2004 simulierten Bauakademie Schinkels am historischen Standort wirkt wie ein Zeugnis des Versagens einer modernen, sonst bauwütigen Stadt! Denn, noch einmal sei Walter Benjamin kurz repetiert: was der Mensch erzeugt ist wiederholbar, nachmachbar. Was verloren geht, ist die Echtheit. Was nicht mehr erfahrbar ist durch Reproduktionen ist die Aura des Kunstwerks, in diesem Falle der 1836 eröffneten Bauakademie mit der revolutionären modernen Bauweise Schinkels. https://de.wikipedia.org/wiki/Berliner_Bauakademie

Die Akademie der Künste fragte in der Sonntagsmatinee am 3. Februar 2019 „Was würde Schinkel tun? Gedanken zur geplanten Neugründung der Bauakademie“. Man darf davon ausgehen, dass Mitglieder der Akademie diesen miserablen Zustand am Werderschen Markt vor Augen hatten. Es gab heftiges Für und Wider zur Rekonstruktion, auch wenn der Begriff als solcher in der Debatte nicht fiel.

Aber es wurde klar, warum das Gebäude rekonstruiert werden kann. Besonders im Beitrag von Kurt W. Forster. Er wies durch Bachfachanalyse und kenntnisreiche Schlussfolgerungen in seinem exzellenten Vortrag den Weg der Denkrichtung: „Schinkels Blick auf die technische Zukunft für Berlin war tragend.“ Dies war wörtlich zu nehmen!

Kurt W. Forster, ehem. Direktor des Getty Center L. A., bekannt durch die Werkbiographie Schinkels „A Meander Through His Life And Work“, sah sogar 1956 die Ruine der Bauakademie noch und Forster betonte: „Es gäbe den Bau nicht, wäre es Schinkel nicht gelungen, so viele Mitstreiter zu finden. Schwierigkeiten trieben ihn nicht in die Enge, sondern regten ihn zu Lösungen an. Mit Beuth und David Gilly (Vater von Friedrich Gilly)“, so Forster, „hatte er Erfahrungen sammelnde Mitstreiter auf Reisen nach Frankreich und England."

Bemerkenswert war das Interesse aller drei an Bauingenieurkunst und Architekturzeichnungen "mittels graphischer und künstlerischer Gewandtheit: sie dachten antike Baufiguren mit Ingenieurkunst zusammen und ‚verschränkten’ diese in einzelnen Bauteilen. Schinkels Werk ist als ‚höhere Baukunst’ zu bezeichnen. Der Kontrast von Glas und klassischen Bauelementen war elementar, revolutionär. Am gezeichneten Baubeispiel wollte Schinkel die Rückseite völlig verglasen, also eine licht durchflutete Precella schaffen. Schinkels Baukunst fußt auf Stein, Glas, Eisen. Die Bauakademie wirkte wie eine Sphinx der Architektur am Spreekanal und der Spreeinsel. Eine Rekonstruktion ohne diese Kenntnisse ist nicht möglich. Man sehe sich seine ‚Sammlung architektonischer Entwürfe’, Berlin 1831, an!“ (Sammlungshinweis: Kupferstichkabinett – SMB).

Forster führte weiter aus: „Da der Baugrund ein ehemaliges Flußgelände war, gab es viel Aushub. Anstelle von einzelnen Pfählungen legte dieser Grund ein Pfeilersystem nahe. Das statische Konzept dazu stammte von Baukonduktor E. Flaminius, er entwickelte ein Pfeilersystem. Die Ausfachung der Fenster wurde von oben nach unten gearbeitet, nachdem die Pfeiler, Pfosten und Querverbindungen gespannt waren. So konnten Spannungen und Verformungen korrigiert werden. Tonbrand und technische Möglichkeiten waren die Höhepunkte Schinkelscher Baukunst, dies wurde von Flaminius dokumentiert (Allgemeine Bauzeitung). Er fertigte selbst Bauzeichnungen an, bspw. die Bauakademie mit 79 Pfeilern, Ankern und mit Zugspangen - die großen Öffnungen mit Eisen, mit Backstein und mit großen Schiebefenstern. Trotz des Krieges ist dieses Strukturprinzip erhalten geblieben, d.h. das Gebäude hat den Krieg überstanden. Schinkels Innovationen wurden in die Sache gesteckt, und ‚nicht nur in den Mund genommen’, also nur geredet. Was wiederum bedeutet, es wurde nicht geredet sondern gemacht.“

Zur Ästhetik der Terrakottafassade und ihren Grundlagen in den unikaten einzelnen Elementen erklärte Kurt W. Forster: „Schlemmen und Brennen von verschiedenen Tonarten erforderte Sorgfalt. Technologische Kenntnisse wurden vereint, und bezogen auf Eisenguss und Tonbrand angewendet. Der Zeitgenosse Schinkels, Carl Friedrich von Rumohr, Kulturhistoriker, erkannte: Backsteinkunst und Terrakotten sind zu höchster Baukunst vereint, und bemerkte ‚Dieses Bauwerk … hat mir von der Zeichnung her ganz missfallen, in der Ausführung aber ganz und gar gefallen’. Karl Bötticher, Architekt, Kunsthistoriker, Archäologie und Zeichner, erkannte gar in der Architektur mit Gewerberäumen, Wohnung, eine Neue Bauschule.

Schinkel sah das Schloss-Umfeld! Er hat das Konzept der Baumbepflanzung auf seinen Zeichnungen stark thematisiert. Durch Schinkels Zeichnungen gehen neue Relationen von abstrakten und natürlichen Elementen aus. Bäume und Gebäude sah er zusammen. Schinkel betonte: ‚Das Wasser bringt den Wald in die Stadt zurück.’ Schon damals finden wir also einen Ökologiebegriff bei Schinkel“, so Kurt W. Forster und beendet seinen Vortrag: „Wer kann von den gegenwärtigen Architekten Schinkel das Wasser reichen? Gegenüber (er meint das Hohenzollern-Schloss, wie es heute rekonstruiert wird) erblicken wir den Frankenstein der Architektur.“
(Von den Autoren dieses Beitrages in der Berliner Woche skribiert während der Rede von Kurt W. Forster)

In Abwandlung von Walter Benjamin abschließend gesagt: Der Mensch braucht auch eine Behausung für seine Ideen und für seine Erinnerungen. Wenn diese für große Leistungen relevant sind, darf durchaus wiederholt werden, darf „nachgebaut“ werden. An zahlreichen anderen relevanten Gebäuden wurde es vorgemacht.

Die jetzige Situation vor dem Auswärtigen Amt und gegenüber der Prachtstraße Unter den Linden, dem UNESCO-Welterbe Berliner Museumsinsel, und dem rekonstrurierten Schloss mit dem zukünftigen Humboldt Forum verlangt endlich ein sichtbares Signal für den Beginn des bereits von der Bundesregierung beschlossenen Wiederaufbaus.

Bauen braucht Zeit, das wissen alle. Aber für die schändliche Ansicht flatternder Fetzen am Kultort neben der immer noch geschlossenen Friedrichswerderschen Kirche gibt es keine Rechtfertigung mehr. Schinkels nahezu originaler Kirchenbau muss geöffnet werden und die Fetzen mit Gerüst am Ort der Bauakademie müssen sofort abgebaut werden. Das wäre eine kulturelle Großtat im Sommerloch von Berlin.

Anne Schäfer-Junker (anne.junker@gmx.de) Hans-Karl Krüger (krueger@hans-k-krueger.de)

Autor:

Anne Schäfer-Junker aus Französisch Buchholz

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