Berlin und Oderbruch
CHAMISSO „Ich bin nach Weisheit weit ...“*

Chamisso's Spruch "Ich bin nach Weisheit weit umhergefahren ..." im Eingang des Museums. Ev Pommer, Berlin. Büste auf Plinte, Steinguß 2013. Geschenk der Chamisso-Gesellschaft | Foto: Anne Schäfer-Junker
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  • Chamisso's Spruch "Ich bin nach Weisheit weit umhergefahren ..." im Eingang des Museums. Ev Pommer, Berlin. Büste auf Plinte, Steinguß 2013. Geschenk der Chamisso-Gesellschaft
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In Französisch Buchholz gibt es die Chamissostraße. Sie ist benannt nach Adelbert von Chamisso (1781-1838), dem Botaniker, Naturforscher und Dichter der Romantik, der mit seinen Eltern aus Frankreich kam und Schüler des 1689 von Hugenotten gegründeten Französischen Gymnasiums, Collège Français de Berlin, war.

Wie Alexander von Humboldt begab auch er sich auf Weltreise (1815-1818). Später wurde Chamisso auf Vorschlag Alexander von Humboldts 1835 zum ordentlichen Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin gewählt. Er heiratete nach der langen Weltreise die Pflegetochter des Verlegers und Juristen Julius Eduard Hitzigs und Johanna Bartensteins, Antonie Piaste. Sie hatten zudem drei eigene Kinder. Seine Stellung als Zweiter Kustos im ersten botanischen Garten im Dorfe Schöneberg (1819-1939) sicherte ihm und seiner Familie die Existenz.

Was mir bis dato nicht bekannt war: im Oderbruch gibt es ein Chamisso-Museum. Das Kulturforum Berlin Nordost e. V. füllt diese Bildungslücke mit einer Fahrt nach Kunersdorf. Reinhard Kraetzer, bis zur Berliner Bezirksfusion 2001 (aus 23 wurden 12 neue Bezirke) Bürgermeister für Prenzlauer Berg, war Vorstandsmitglied im Kunersdorfer Verein und hat als Theaterwissenschaftler das weltweit erste Chamisso Museum mitgegründet. In Kunersdorf trifft man auf Literatur der Klassizistik, der Romantik und der Aufklärung.

Das eigentliche Schloss in Kunersdorf („Schloss Cunersdorf“) gibt es seit 1945 nicht mehr, jedoch den Schlosspark von Peter Lenné, mit einem Gedenkstein für Chamisso. Der Weg dorthin führt entlang des Museums auf der Dorfstraße von Kunersdorf (bei Wriezen). In der vorgelagerten Dépendance, haben EnthusiastInnen ein Gedenken an den Musenhof der Frauen von Friedland errichtet und dem Weltreisenden Chamisso eine „Heimstatt“ gegeben. Die "spiritus rectorin" für diese Idee ist die Literaturwissenschaftlerin und Verlegerin Margot Prust.  Das private Chamisso Museum ist also vor allem ein Ort der Ehrenamtlichen mit und um Margot Prust. Es ist seit dem 13. April 2019, an einem authentischen Ort: Dorfstr. 1, 16269 Kunersdorf, geöffnet. Die aktuellen Öffnungszeiten (Mi-So 11-17 Uhr) werden immer im Internet bekannt gegeben und Führungen auf Anmeldung an den Wochenenden durchgeführt. https://www.kunersdorfer-musenhof.de

Die Ästhetik und die Atmosphäre sind beeindruckend. Farbenfrohe 5 Räume, professionell gestaltet und informativ ohne Ende. Hier reichen sich Literatur und perfekte visuelle Gestaltung auf beispielhafte Weise die sprichtwörtliche „Hand“ – die Räume laden ein zu bleiben und nur zu lesen, …lesen … und nochmals lesen. Eine große Multivision erzählt die gesamte Weltreise Chamissos.

Es ist das weltweit erste Chamisso Museum. Mit einer Crowdfunding Aktion des Vereins 2018, in dem die Literaturwissenschaftlerin Margot Prust den Vorsitz führte, gelang die Museumsgründung. Und nicht nur das Haus bekam neues Leben, auch der zum Haus gehörende Park. Zwischen Museum und der evangelischen Dorfkirche mit Kirchhof und der Kunersdorfer Grabkolonnade der Familien von Lestwitz, von Itzenplitz und von Oppen liegend, lassen sich hier traumhaft schöne Stunden verbringen. Der fachmännisch gepflegte Garten mit den perfekten Obstbaumschnitten, das gibt es wohl nur in Brandenburg. Getoppt wird der Besuch des Museums mit einem großen Garten-Café „Cham.Café. Viele unbekannte Köstlichkeiten an Kuchen, Torten und Getränken sind die Überraschung. Das Literatur-Café wird vom überaus gastfreundlichen persischen Gastronomenpaar Fariba Baghernjatha und Saeed Pirkeh geführt.

Die Dorfkirche wurde 1951-1952 von Karl Steinberg im spätexpressionistischen Backsteinstil umgebaut bzw. neu errichtet, Zur Grabkolonnade schufen Johann Gottfried Schadow, Christian Daniel Rauch und Christian Friedrich Tieck sowie Hugo Hagen die Grabmale von neun Begräbnisstätten, die sich in gutem Zustand befindet und wie ein Schutz auf den gesamten Friedhof wirkt. Im hinteren Bereich sind jahrhundertealte Maulbeerbäume gewachsen. Was für ein Schatz. Das Ensemble, mit Chamisso Museum, Park, Kirche und Friedhof wirkt in seiner räumlichen Ausdehnung und Schönheit traumhaft – eben als wenn alle neun Musen hier zu Hause seien. Was sie offensichtlich sind. Der Kirchhof und die Kirche sind in ihrer Mischung aus Historie und neuer Geschichte bemerkenswert. Frau Eva-Maria Andresen, die ehmalige Bürgermeisterin von Kunersdorf, führt behutsam über den Friedhof und erzählt die lange Geschichte in eindrücklicher Weise. Im Zuge der Oderbruchkolonisation ab 1753 hatte sich aus dem einstigen Klostergut des Markgrafen von Brandenburg-Sonnenburg die Herrschaft Friedland herausgebildet. Chamisso war als Botaniker in Kunersdorf 1813 bei der Familie des Grafen und der Gräfin von Itzenplitz zu Gast. Man könnte auch sagen, geschützt durch politisches Asyl, vor dem Hintergrund der napoleonischen Kriege, denn er war Franzose. Hier verkehrten Humboldt, v. Hardenberg, von Stein, Schadow.

Chamisso bemerkte einmal „… ich bin Franzose in Deutschland und Deutscher in Frankreich, Katholik bei den Protestanten, Protestant bei den Katholiken, Jakobiner bei den Aristokraten, Philosoph bei den Gläubigen, Heuchler bei den Männern des Ressentiments, … ich habe nichts, wohin ich gehöre, ich bin überall fremd.“

Es ist in der Tat ein sehr perfekter Musenort in einmaliger Schönheit. Die Musen sind allesamt lebendig. Dies wird in der Begegnung und Führung mit Frau Margot Prust deutlich. Ihre Vita ist gezeichnet von lebenslänglicher Literaturbefassung. Ihr Beruf, der Berufung ist in der Literaturwissenschaft und dem Verlagswesen hat für das Konzept des Chamisso Museums gute „Vorarbeit“ geleistet. Ehemals gründete sie in den 1990er Jahren den Verlag FINDLING, der die gesamte reichhaltige Geschichte des Oderbruchs anbietet - eine herausragende Pionierleistung. „Cunersdorf“ ist ihr größtes „Lebenswerk“. Empathie, Engagement und die von fraulichem Stolz zeugenden Erzählungen sind sehr berührend.

Als Schriftsteller wurde Adelbert von Chamisso bekannt durch das romantische Kunstmärchen "Peter Schlemihls wundersame Geschichte“. In Kunersdorf schrieb er dieses Märchen zum Zeitvertreib. Peter Schlemihl schwebte auch durch meine Jugend – der Mann, der seinen Schatten an den Teufel verkaufen wollte. Sehr erzählerisch, phantasieanregend, aber auch romantisch!

Und der Vollständigkeit halber, in Kreuzberg gibt es einen Chamissoplatz und in Hakenfelde eine Chamissostraße. Eine Doppelung? Nein. In Französisch Buchholz ist es wirklich der Dichter, in Hakenfelde ist es der Sohn: Ernst Chamisso de Boncourt, *14.9.1820 Schöneberg bei Berlin, † 20.1.1894 in Polkritz. Dieser Sohn des Dichters und Naturforschers Louis Charles Adélaide von Chamisso de Boncourt (1781–1838) und dessen Ehefrau Antonia Franziska, geborene Piaste (1799–1837) schlug die militärische Laufbahn ein und diente auf mehreren Festungen. Von 1868 bis 1871 war Ernst von Chamisso de Boncourt im Rang eines Oberstleutnants als Ingenieur-Offizier in Spandau stationiert, aha, deshalb Hakenfelde.

In Kreuzberg liefert die Volkswirtschaft am Chamissoplatz (geöffnet Montag bis Sonntag 17.00 – 23.00 Uhr) den Backround für ihr Restaurant: „Der wunderschöne Chamissoplatz mit seinem historischen Kopfsteinpflaster, der idyllischen Grünfläche und den wunderschönen Gründerzeithäusern versprüht den unverfälschten Charme alter Tage, der inmitten der pulsierenden Metropole Berlin fast surreal wirkt. Im „Peter Schlemihl“ trifft klassische deutsche Küche auf das junge und innovative Berlin des 21. Jahrhunderts.“

Die Staatsbibliothek zu Berlin bewahrt die Handschrift „Peter Schlemihls Schicksale“ Ms.germ.qu. 1809 und auch den Erstdruck von 1814. Einen Zugang zum gesamten Nachlass Chamissos bieten die digitalisierten Sammlungen der Staatsbibliothek. Denn der Nachlass Chamissos fand hier seine „Heimat“. Auch das ist eine lange Geschichte – 1958 erfolgte die Rückgabe des Nachlasses aus der Lenin-Bibliothek Moskau an die Deutsche Staatsbibliothek in Ost-Berlin. Im heutigen Verbundkatalog Kalliope sind sämtliche Zeugnisse, Manuskripte und Korrespondenzen Chamissos aus dem Besitz der Staatsbibliothek archivalisch und wissenschaftlich erschlossen. Seit 2014 ist der Nachlass online studierbar.

An der Berliner Oranienburger Straße, am Monbijoupark in Berlin-Mitte steht einsam und ungepflegt ein Denkmal für Adelbert von Chamisso.

Anne Schäfer-Junker (anne.junker@gmx.de)

*Adelbert von CHAMISSO „Ich bin nach Weisheit weit umhergefahren“*** Buchtitel zu Chamissos Gedichten, Dramen und Prosa, erschienen in zahlreichen Verlagen, so 1978 bei Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig

Autor:

Anne Schäfer-Junker aus Französisch Buchholz

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