„SIE SIND NICHT MEINE PATIENTIN!“
Ich sei Patientin eines Arztes geworden - dachte ich!
Französisch Buchholz hat für 21.000 EinwohnerInnen nach Auskunft Das Örtliche zehn nieder gelassene Human-Arzt-Praxen (zwei Fach-Arzt-Praxen für Innere Medizin, einen HNO-Arzt, eine Fachärztin f. Kinder- und Jugendmedizin sowie sechs Zahnarztpraxen, vier Tierärzte). Diese Zahl scheint realistisch. Im Gesundheitsamt Pankow ist eher keine Zahl zu erfahren. Die Kassenärztliche Vereinigung veröffentlicht keine aktuellen Zahlen. Immerhin finden sich in der Buchholzer Orts-Nachbarschaft in Pankow Arztpraxen aller Fachärzte und Fachärztinnen.
Schauen wir in die griechische Antike, dann erinnert uns unser kulturell-philosophisches Gedächtnis an ΑΣΚΛΗΠΙΟΣ (lat.: Äskulap), den Gott der Heilkunde, während ΥΓΙΕΙΑ (lat.: Hygieia) als Göttin der Gesundheit verehrt wurde - mit dem Symbol des Schlangenstabes. In der griechischen Mythologie gilt die sich häutende und regenerierende Schlange als Symbol des gesunden Lebens und der Heilkunst.
Im Herbst 2020 besuchte ich Epidauros mit dem Asklepios-Tempel. Dort wird die lange kulturhistorische Verehrung für die Heilkunde im Heiligtum des Asklepios erlebbar. Das Heiligtum gehört heute zum UNESCO-Weltkulturerbe.
„Auf die griechischen Götter muss heute kein junger Mediziner mehr seinen Eid ablegen. Als Deklaration von Genf hat der Hippokratische Eid jedoch einen modernen Nachfolger erhalten. Gerade im Arzt-Patienten-Verhältnis kann dieser auch im 21. Jahrhundert Orientierung bieten“ schreibt Jana Sauer im Ärzteblatt 2018. Bei mehreren Arztpraxenbesuchen, meist nach langen Terminwartezeiten, werde ich neugierig, weil von Leistungskürzungen zu hören ist. Morgen (19.10.2022), so melden die Rundfunknachrichten, streiken die ApothekerInnen in Brandenburg gegen geplante Honorarkürzungen. Um mich genauer zu informieren schaue ich unter „Pressemitteilungen“ der Kassenärztlichen Vereinigung nach
( https://www.kvberlin.de/die-kv-berlin/pressemitteilungen : Leistungskürzungen in Berliner Praxen ab 2023.
UPPS! Hintergrund ist, dass die Bundesregierung für die Gesetzlichen Krankenversicherungen(GKV) ein Gesetz plant, das einen Gesetzesrahmen für riesige Einsparungen dieses „Systems“ und bei gesetzlich Versicherten beschreibt, die Kosteneinsparungen sollen „solidarisch“ bei allen erfolgen. Ich stoße auf ein Wortungetüm: GKV-Finanzstabilisierungsgesetz! Schon in diesem eher niederschmetternden Namen wird die ganze Misere deutlich, die in der Befassung mehrere Ministerien, den Gesetzgeber und ca. 71 Millionen gesetzlich Versicherte betreffen dürfte. Es geht um Milliarden zur Sicherung der gesundheitlich notwendigen Versorgung in Deutschland. Von großen Verlusten der Krankenkassen ist die Rede:
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/gesetze-und-verordnungen/detail/gkv-finanzstabilisierungsgesetz-gkv-finstg.html
Warum weiß die Öffentlichkeit davon so gut wie Nichts? Im aktuellen Ärzteblatt schreibt Frank Osterloh „Mit der Ausrichtung des Gesundheitswesens an ökonomischen Vorgaben hat die Politik Ärztinnen und Ärzte in einen Zielkonflikt gezwungen, den viele zunehmend als große Last empfinden. In einem Thesenpapier fordert die Bundesärztekammer die Regierung zu einem Kurswechsel auf.“
Als Kabinettsbeschluss liegt der Gesetzentwurf bereits seit 27.7.2022 vor. Zudem fand die erste Lesung im Bundestag am 23.9.2022 statt. Auch wenn eine Kabinettsvorlage noch lange kein Gesetz ist, werfen schon allein die Sprache und die Verknüpfungen von ökonomischen und medizinischen Bedarfen, Begriffen und Zusammenhängen, von ärztlicher Kunst und medizinischer Wissenschaft – die in ihrer Wertstellung nichts vermitteln – viele Fragen auf: 61(!) Seiten. Wie kann ein Gesetzentwurf fürsorgliche Pflichten des Staates für die Gesundheit seiner Bevölkerung deutlich machen, wenn großenteils ökonomisch verschlagwortete Werte, nicht vergleichbare Einschätzungen ökonomischer und medizinischer Fakten und allgemeine ethische Floskeln aufgerufen werden?
Ich frage im Gesundheitsministerium und erfahre, „die Gesetzlichen Krankenkassen sollen Milliarden Verluste machen, die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) befände sich derzeit in einer angespannten finanziellen Situation. Ohne weitere Maßnahmen würde der Zusatzbeitragssatz im kommenden Jahr um 1,0 Prozentpunkte und in den Folgejahren um 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte jährlich steigen.“
„Um diesen Anstieg zu dämpfen,“ so heißt es weiter, „sieht das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz“ (was für ein Wortungetüm) „eine Reihe von Maßnahmen vor.“ Und jetzt kommt es heftig, klingt aber gut: „Neben ergänzenden Steuermitteln und dem Einsatz von überschüssigen Reserven der Krankenkassen, gilt es, auch die Ausgabenseite zu stabilisieren, um die finanziellen Lasten fair zu verteilen und nicht allein den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern aufzuerlegen. Die finanziellen Lasten werden deshalb auf die Krankenkassen, den Bund, die Beitragszahlenden und die Leistungserbringer verteilt – also auch auf die Ärzteschaft.“ Dann folgt die Schlussfolgerung: „Um das Milliardendefizit der gesetzlichen Krankenversicherung auszugleichen, müssen alle dazu beitragen, die von dem Solidarsystem profitieren.“
Die Ärzte als Profiteure? Sie sollen PatientInnen heilen, nicht unter Generalverdacht gestellt werden und nicht immer mehr Verwaltungsarbeit und Studien von Gesetzesentwürfen in unangemessener Höhe machen müssen! Wie soll eine Ärzteschaft, die den Eid des Hippokrates und die Genfer Deklaration kennen dürfte, zum Nutzen der Menschen heilen, lehren und wissenschaftlich arbeiten, wenn sie zum Verwaltungsfachwirt ausgebildet werden müsste, um ihren Beruf weiter ausüben zu können? Das merkwürdigste Ansinnen in diesem Gesetzesentwurf scheint die so genannte „Neupatienten-Regelung“ zu sein.
Vielleicht muss ich mir schnell noch ein Arzt-Abo verschaffen für die eventuell möglichen Erkrankungen, die mir noch bevorstehen könnten? „Die Neupatientenregelung wurde (ausgegeben am 10.05.2019, d. A.) neben weiteren Vergütungsanreizen mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) eingeführt, um den Zugang zur ambulanten ärztlichen Versorgung zu verbessern und zu fördern und um Wartezeiten zu verringern.“ Die buchhalterische, man könnte sagen „fiskalische“ Erkenntnis im Entwurf des BMG lautet: „Es liegen jedoch keine validen Erkenntnisse darüber vor, dass dieses Ziel in einem signifikanten Umfang erreicht worden ist.“ Diese Schlussfolgerung soll als Begründung zur Abschaffung des TSVG, - Streichung aus dem Gesetz (?) – herhalten? Macht man sich das nicht etwas zu einfach? Respekt und Achtung, besonders nach 2 Jahren Corona-Pandemie sehen anders aus. Ein solches Gesetz sollte auch den Respekt und die Achtung vor den Helfenden vermitteln, das verlangt sein ethischer Grundsatz! Der Gesetzentwurf macht auch deutlich, dass es nach der Corona-Pandemie Krankheiten gibt, die zahlreicher auftreten, z. B. die Gürtelrose. Sollte das TSVG abgeschafft werden, wird es zu noch größeren Wartezeiten auch für Patienten kommen
Ärzte und Krankenschwestern, Physiotherapeuten, Psychotherapeuten, die Pflegenden, Sanitäter, die Fachleute in Laboren und wissenschaftlichen Bereichen vieler Gesundheitsinstitutionen und Universitäten, die Gesundheitsdienste, die Feuerwehren, die Polizei, sie alle waren doch für Erkrankte und Hilfsbedürftige die Helden und Retter, besonders in der Corona-Krise. Schon vergessen? Sie sind noch heute das Personal, das geschützt werden sollte, es gehört ebenso zur kritischen Infrastruktur wie Strom, Wasser, Lebensmittel und Personennahverkehr, genau wie wir JournalistInnen.
Auch wenn das Gesetz*** im Moment noch gilt, scheint seine geplante Abschaffung mich als (gezwungenermaßen) Neu-Patientin schon vorsorglich getroffen zu haben, als ein Arzt mir sagte: „Sie sind nicht meine Patientin.“ Ich wusste schon von diesem Gesetzentwurf und hatte sogar Verständnis für ihn. Doch frage ich mich: „Ja, was bin ich dann?“
Wie gesagt, morgen (19.10.2022) streiken die ApothekerInnen in Brandenburg gegen geplante Honorarkürzungen.
Anne Schäfer-Junker (anne.junker@gmx.de )
18.10.2022
*** Es stellt sich dabei auch die Frage: wie entstehen heute Gesetze? Für welchen Zweck werden sie gemacht, zum Nutzen des Volkes und nicht zu seinem Schaden? Wie kann Gesundheitsvorsorge oder Grundversorgung gesetzgeberisch gesichert werden? Hier mal weitergehend zum Nachlesen wie Gesetzte entstehen:
https://www.bundestag.de/parlament/aufgaben/gesetzgebung_neu/gesetzgebung/weg-255468
Autor:Anne Schäfer-Junker aus Französisch Buchholz |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.