Als Juden nach Deutschland flohen: Schöneberger Autoren stellen neues Buch vor
Friedenau. Uwe Johnson hätte sich gefreut, wenn er gewusst hätte, dass die Lesung so viele Menschen anzieht.
Der Uwe-Johnson-Salon im Literaturhotel in der Fregestraße ist jedenfalls brechend voll. Das geschichtsinteressierte Publikum will etwas über ein bisher kaum beachtetes Kapitel deutscher Geschichte erfahren.
Die beiden Journalisten und Autoren Hans-Peter Föhrding und Heinz Verführt haben ein Buch über Deutschland nach 1945 und jüdisches Leben im Land der Täter geschrieben: „Als die Juden nach Deutschland flohen. Ein vergessenes Kapitel der Nachkriegsgeschichte“.
Föhrding und Verführt, die beide in Schöneberg leben, haben 26 Interviews geführt. Eine Gesprächspartnerin war Lea Waks. Sie ist der rote Faden durch das Buch. Lea Waks aus dem polnischen Lodz lebte an ihrem Lebensende am Bayerischen Platz. Die Kiezkennerin und Autorin Gudrun Blankenburg war ihre Nachbarin.
Über eine Viertelmillion osteuropäische Juden, die meisten aus Polen, strandeten in den Nachkriegsjahren in Westdeutschland. Der neue Antisemitismus in ihrer alten Heimat hatte sie vertrieben. Im Land ihrer ehemaligen Peiniger und Mörder begaben sie sich in die Obhut der westlichen Siegermächte, vor allem der Amerikaner. Deutschland sollte nur Transit sein auf dem Weg nach Palästina oder in die USA. Berlin war ein Drehkreuz. 80 000 bis 100 000 Juden flohen über Berlin, so die Recherchen der beiden Autoren. Während der Berliner Luftbrücke seien sie „das Leergut der Rosinenbomber“ auf dem Weg zurück nach Frankfurt am Main und Süddeutschland gewesen, erinnert sich ein befragter Zeitzeuge. Doch es dauerte, und deshalb entfaltete sich in den sogenannten DP-Lagern (Displaced Persons) für einige Zeit das altvertraute Schtetl-Leben Osteuropas.
Für die Deutschen blieben die jüdischen Flüchtlinge Fremde, sie begegneten ihnen zumeist mit Missgunst und Ablehnung. Hier drängen sich für die Autoren Assoziationen zu heute auf, zur sogenannten Flüchtlingskrise. Die Atmosphäre der Willkommenskultur sei in Hass, Misstrauen und Gewalt umgeschlagen, im Huckepack komme der Antisemitismus daher.
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Mechthild Rawert, die die Lesung initiiert hat, sagte angesichts der von AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland gewünschten „Entsorgung“ der stellvertretenden SPD-Vorsitzenden und Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Aydan Özoguz: „Wehret den Anfängen“. Und Hoteldirektorin Christa Moog sagte in ihrem Grußwort, zu erinnern sei „die einzige Chance zu überleben“.
Lea Waks, so erzählen es Föhrding und Verführt, soll jungen israelischen Reisegruppen auf die Frage, wie sie als Jüdin mit ihrer Biographie im Land der Täter bleiben könne, stets geantwortet haben: „Ich lebe in Berlin sicherer als ihr mit den Palästinensern in Israel. Schalom.“ KEN
Autor:Karen Noetzel aus Schöneberg |
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