Pelagia Petrick gab ihren Kiosk am Südwestkorso auf
Die erste Kundin in dem gerade mal zehn Quadratmeter messenden Geschäft am Südwestkorso war Michaela Scharfenberg. Sie kam mit ihrem Neugeborenen aus dem Krankenhaus und wollte sofort Lektüre. "Gleich mal gucken, wer denn da den Laden eröffnet hat", erinnert sie sich. Das ist 24 Jahre her. Michaela Scharfenberg und ihre Familie sind umgezogen. "Aber zum Abschied kommt sie", freut sich Pelagia Petrick.
63 Jahre alt ist die gebürtige Griechin, die vor einem halben Jahrhundert ihre Heimat verließ, weil ihr Vater vor der sich abzeichnenden Militärdiktatur fliehen musste. "Ich wollte eigentlich erst in zwei Jahren aufhören", erzählt Pelagia Petrick.
Aber das Finanzamt hat ihr einen Strich durch diese Rechnung gemacht. Eine fünfstellige Summe sollte sie nachzahlen, weil sie angeblich die Zigaretten, die sie neben nationalen und internationalen Zeitungen und Zeitschriften verkauft, selbst rauche. Die Sache ist mittlerweile zugunsten von Pelagia Petrick vom Tisch. Aber die Kündigung für den Kiosk hatte sie bereits abgeschickt. Ein Goldschmied zieht jetzt dort ein. Die Geschäftsaufgabe nimmt sie mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Deshalb feiert sie auch mit dem "harten Kern" ihrer Kundschaft, die zuletzt 50 bis 60 Leute am Tag ausmachte, und tauscht Erinnerungen und so manche Anekdote aus den vergangenen beiden Jahrzehnten aus.
Die jüngste liegt nur vier Wochen zurück. Eine ältere Dame habe den Kiosk betreten und gesagt: "Ich wollte nur mal sehen, ob der Laden noch existiert", so Petrick. Wie sich herausstellte, hatten die Eltern der Frau den Kiosk vor 50 Jahren gekauft und wie Pelagia Petrick Zeitungen angeboten.
Trotzdem kommt bei vielen Wehmut hoch. "Es ist ein Jammer", sagt eine Stammkundin. Sie ist die Dame mit dem "fangenden Hund". "Frau Petrick hat meine Ginger immer schon beim Hereinkommen mit einem Leckerchen bedient." Wie ein Torwart fängt die Hündin die Kekse auf. "Sie wird Frau Petrick sehr vermissen", fürchtet die langjährige Kundin. Der Kiosk sei ein "kommunikativer Ort" gewesen, "eigentlich förderungswürdig", meint sie.
Eine andere, die seit 30 Jahren im Kiez wohnt, erzählt, wie ihre Kinder bei Pelagia Petrick warten konnten, wenn sie mal den Wohnungsschlüssel vergessen hatten. Die Kioskbesitzerin hat aber nicht nur Kinder gehütet. Sie hat auch Unterkünfte vermittelt, beispielsweise für Studenten in Paris.
Eine Netzwerkerin, wie man neudeutsch sagt, ist Pelagia Petrick also gewesen, zudem ein "Zentralorgan der öffentlichen Meinung", wie Tobias Timm vor vier Jahren in der "Zeit" schrieb. Als solches handelte sie aber "psychologisch von hinten", wie es Petrick formuliert. "Ich kann Kunden nicht sagen: Kaufen sie nicht diese Zeitung, kaufen Sie die andere. Das geht nicht. Ich muss es geschickt machen, damit der Kunde hinterher denkt, er habe sich entschieden."
Am 25. April hat Pelagia Petrick bis 18 Uhr verkauft. Was nicht mehr wegging, wurde zusammengebunden und anderntags in der Frühe um 4 Uhr vom Vertrieb abgeholt. "Ganz verschwinden werde ich nicht", tröstet sie ihre Kunden. Sie organisiert Buchlesungen und Treffen, um immer wieder in Friedenau "einfliegen" zu können. Los geht es am 21. Mai ab 19 Uhr in der "Kaiserdiele", Südwestkorso 62.
Autor:Karen Noetzel aus Schöneberg |
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