Viele Jahre lebte Günter Grass mit seiner Familie in Friedenau
Es war die Backsteinvilla mit rückwärtigem Apfelbaumgarten in der Niedstraße 13, die der streitbare Schriftsteller mit seiner Familie Anfang der 60er-Jahre bezog. Das Haus stand leer. Sein künftiger Nachbar Uwe Johnson, der seinen Kollegen darauf aufmerksam machte, war 1959 nach Westberlin gekommen und in die Nummer 14 gezogen. In demselben Jahr feierte Grass, verhältnismäßig spät, mit "Der Blechtrommel" seinen literarischen Durchbruch. Es war der Beginn eines Aufstiegs zum "wortgewaltigen Kritiker seines Landes" und "Mahner, Warner, Weltgewissen", wie ihn jetzt Politiker, Schriftstellerkollegen und Weggefährten in ihren Nachrufen verabschiedet haben. Ein Universalkünstler war Günter Grass, weil er auch als Grafiker und Bildhauer arbeitete.
Das Haus gefiel, das Atelier unterm Dach war groß genug für alle seine Ambitionen. Günter Grass fühlte sich wohl in Friedenau, liest man noch einmal die Zeilen in seinem 1972 erschienenen Buch "Aus dem Tagebuch einer Schnecke": "Friedenau bietet viel. Es liegt unter einer Einflugschneise, verbirgt zwischen Mietshäusern der Gründerjahre verwinkelte Klinkerhäuschen, leistet sich vor seinem Rathaus zweimal wöchentlich einen Obst-, Gemüse-, Fisch-, Eier- und Kräutermarkt, bildet vor der Post ein Rondell, auf dessen Bänken sich alte Frauen vergleichen, hat seine Eckkneipen und schattige Vorgartenlokale." Der Wochenmarkt war für den Schriftsteller vermutlich eminent wichtig. Schließlich war Günter Grass ein ausgewiesener Gourmet, der seine Freunde, Literaten und Politiker, gern bekochte - auf der Terrasse seiner malerischen Villa.
Peter Härtling hat sich an einen solchen Abend erinnert, an dem sich unter anderem Uwe Johnson, Günter Gaus, Ingeborg Bachmann, Willy Brandt und Horst Ehmke versammelt hatten. "Den Hunger seiner Gäste stillte er spätabends mit einer Linsensuppe, die für einen beschwerten Schlaf sorgte. Die jeweiligen Einlagen überraschten mich: anstatt der üblichen Würstchen Rinderzunge oder Fasan."
Die Autorin und Stadtführerin Gudrun Blankenburg hat sich in ihrem 2006 veröffentlichten Buch "Friedenau - Künstlerort und Wohnidyll" gewünscht, dass diese Grasssche Gartenterrasse einmal ein "mythologischer Ort der deutschen Nachkriegsliteratur" werde. Vielleicht ist jetzt der Moment gekommen.
Autor:Karen Noetzel aus Schöneberg |
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