Lehrer Dieter Wöhrle schreibt Gebrauchslyrik
"Ich wähle Straßenthemen", sagt der 58-Jährige, der seinen Kiez und dessen Menschen liebt und deshalb auch kritisch beäugt. Seine Dichtung bezeichnet Wöhrle als "Gebrauchslyrik". Sie hat eine klare, verständliche und gleichzeitig feinfühlige Sprache. Manchmal verfällt sie auch mutig in Jargon. Ihren nicht immer sonnigen Inhalt sollen viele Leser verstehen und im eigenen Leben anwenden. Literatur und Literaturgeschichte sind für Dieter Wöhrle nicht nur Broterwerb. Sie sind vielmehr Lebensinhalt. Und Gedichte zu verfassen, ist seine liebste Beschäftigung außerhalb des Schulalltags. Wöhrle schreibt in der Tradition von Erich Kästner. Er gehört neben Heine und Ringelnatz zu seinen Favoriten. Nachahmen will er sie auf keinen Fall. Sie sind ihm Quelle der Inspiration.
Seine Themen findet der Dichter in der S-Bahn, beim Einkaufen und auf der Straße. Daraus entstehen kleine Geschichten, die er in Balladen und anderen Gedichtformen erzählt. Für die "Neuköllner Romanze" etwa hat das Mitglied der Erich-Kästner-Gesellschaft einen kurzen Blickwechsel zwischen zwei jungen Leuten im Bus weiter gesponnen und ausgebaut.
"Neukölln bei Nacht und Schneesturm, Minusgraden:/Der Bus kommt spät in Richtung Hermannplatz,/lädt aus, lädt ein, und bleibt doch überladen/mit Husten, Heiserkeit, Gezänk, Rabatz.// Er fühlt sich unwohl in der Fahrgastmenge./Dann sieht er plötzlich vor sich ihr Gesicht./Sie blickt ihn an, doch mitten im Gedränge/schiebt sich dazwischen so ein Schwergewicht.// Am Hermannplatz hat er sie wohl verloren,/vergeblich sucht er sie im Menschenwald./Um ihn herum ist alles tiefgefroren,/und seine Füße werden langsam kalt.// Der U-Bahnhof: Auch hier bleibt sie verschwunden./Jedoch lebt auf in seinem Kopf ihr Bild:/Sie lächelt, spricht zu ihm. Für ein, zwei Stunden/erscheint ihm diese Nacht so richtig mild.//
Dieter Wöhrles wichtigstes Gedicht ist zurzeit "Schein und Sein". Zum Inhalt hat es die Begegnung einer Frau und eines Mannes während einer Zugfahrt. Sie ist gepflegt und anziehend. Er ist braun gebrannt, sportlich und schick. In Wirklichkeit aber ist sie eine "dauerkranke Maus", die täglich Tabletten braucht. Er hat gerade seine Arbeit verloren und sitzt auf einem Riesenberg Schulden. "Liebesthemen interessieren mich erst, wenn etwas schief läuft", sagt Dieter Wöhrle.
Sein erstes Gedicht schrieb er beim Frühstück. Von Freunden ermutigt, machte er weiter, suchte nach einem Verlag und "hatte die üblichen Frusterlebnisse." Schließlich ist Wöhrle beim kleinen Geest-Verlag in Vechta gelandet, der mittlerweile drei Gedichtbände veröffentlicht hat: "Aus Küche und Kiez" (2010), "Balladen und Ballaststoffe" (2011) und "Liebe in lieblosen Zeiten" (2013).
Autor:Karen Noetzel aus Schöneberg |
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